Grünen-Chef Alexander Van der Bellen will sich nicht loben lassen - weder von der ÖVP noch von der SPÖ.

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Und der ÖVP will Van der Bellen den rustikalen Wahlkampf in der Steiermark nicht verzeihen: "Das ist Lopatkas Handschrift". Der Grüne Bundessprecher im Gespräch mit Samo Kobenter.


STANDARD: Die Grünen werden beinahe wöchentlich entweder von ÖVP oder SPÖ als regierungstauglich gelobt. Zuletzt war Wirtschaftsminister Bartenstein im STANDARD-Gespräch dran: Tut ihnen so viel Lob gut?

Van der Bellen: Nein. Mich kümmert das wenig. Die Grünen brauchen sich von niemandem Regierungsfähigkeit attestieren lassen.

STANDARD: Warum ist das Pendel so offen umgeschwenkt, von den Haschtrafiken-Betreibern zur präsumtiven Regierungsfraktion? Haben sich die Grünen so verändert?

Van der Bellen: Wir haben uns verändert, das stimmt schon. Aber ob die anderen das so registrieren, weiß ich nicht. Wenn man es nüchtern betrachtet, bekommen wir von unseren Mitbewerbern immer noch kalt-warm, und jetzt ist eben warm angesagt. Weil Neuwahlen anstehen, weil man nicht weiß, wie die Mehrheitsverhältnisse aussehen werden - da wird halt ein bisschen Balsam aufgetragen. Aber, siehe ÖVP Steiermark: Kalt kommt bestimmt wieder, das war auch im letzten Wahlkampf auf Bundesebene so. Da hat es von der ÖVP ein Negativ-Campaigning der besonderen Art gegeben.

STANDARD: Sie sagen selbst, es nahen Landtagswahlen . . .

Van der Bellen: Ja, und daher stelle ich mit einer gewissen boshaften Genugtuung fest, dass es der steirischen ÖVP vergönnt war, ihre Wahlkampfmethoden auffliegen zu sehen. Das bewusste Verbreiten von Unwahrheiten, das Anschwärzen von Gegnern, das Fälschen von Leserbriefen und E-Mails: Das liegt jetzt schwarz auf weiß am Tisch.

STANDARD: Die ÖVP spricht von der Verirrung eines einzelnen Mitarbeiters.

Van der Bellen: Unsinn. Das Verbindungsglied zwischen Bund und Steiermark ist Generalsekretär Reinhold Lopatka, der hier wie da die Wahlkämpfe technisch erfolgreich gemanagt hat. Wir kennen seine Methoden aus dem letzten Nationalratswahlkampf. Das ist Lopatkas Handschrift und eine Vergiftung des politischen Klimas.

STANDARD: Warum macht das die ÖVP?

Van der Bellen: Erstens scheint sie zu glauben, dass es in der Vergangenheit funktioniert hat. Und zweitens dürfte sie nervös werden, speziell in der Steiermark - hier könnte die Frau Landeshauptmann Klasnic die Poleposition verlieren. Gerade in der Steiermark würde ich einen Salzburg-Effekt als ganz erfrischend ansehen.

STANDARD: Im Gegensatz dazu könnte man den Grünen vorwerfen, sie halten sich fein heraus und hauen einmal auf die ÖVP, dann auf die SPÖ hin.

Van der Bellen: Völlig richtig. Immer, wenn wir es für richtig halten, hauen wir auf die Regierungspartei ÖVP oder die Oppositionspartei SPÖ hin. Aus dem schlichten Grund: Wir sind die Grünen, autonom und selbstständig.

STANDARD: Ist das nicht eine sehr einfache Interpretation der Oppositionsrolle, je nach Wetterlage nach rechts oder links auszuschlagen?

Van der Bellen: Ist das mit den Einteilungen rechts und links so klar? Die SPÖ hat gerade dem Fremdenrechtspaket zugestimmt, ohne besondere Veranlassung, wie wir finden. Das ist ein schlechtes Gesetz, und bürger- wie menschenrechtlich mehr als problematisch. Wenn es überhaupt eine politische Planung im Hintergrund gab, war es eindeutig die, Haider- und FPÖ-Wähler anzusprechen. Dagegen sag ich auch gar nichts. Nur: Links ist das sicher nicht.

STANDARD: Also mit der Asylpolitik der SPÖ können die Grünen nicht, mit der Bildungspolitik der ÖVP aber auch nicht. Was wäre denn Ihr Wunschprogramm?

Van der Bellen: Ihre Frage ist eine raffinierte Variante des alten Spiels, ob wir eher mit der ÖVP oder der SPÖ gehen werden. Wir werden bis zur Wahl unsere Linie vertreten - beispielsweise in der Bildungspolitik. Da sind wir natürlich mit Gehrer und Grasser und Schüssel nicht im selben Boot: Nicht mit Gehrer, weil sie die Konsequenzen aus der Pisa-Studie nicht sieht und die Universitäten ignoriert, nicht mit Grasser, weil er auf dem Geld sitzt wie Dagobert, statt zukunftsorientiert zu investieren, und nicht mit Schüssel, weil er das duldet.

STANDARD: Was ist denn die grüne Position zum EuGH-Urteil und dem Studentenansturm aus Deutschland?

Van der Bellen: Mehr Geld. Ohne mehr Geld ist die Situation sicher nicht zu lösen. Ich möchte nicht nationalistisch gegen deutsche Studenten und Studentinnen in Österreich argumentieren. Wir sollten ja froh sein, wenn sich die Universitäten auch im Bereich der Studierenden internationalisieren. Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen. Nur, und da kommt das EuGH-Urteil ins Spiel: Ich kann das nicht nachvollziehen.

STANDARD: Was genau?

Van der Bellen: Dass Deutsche dann diskriminiert sind, wenn sie bei uns exakt gleich behandelt werden wie in ihrem Heimatland. Das scheint mir schon merkwürdig. Die Situation ist insofern skurril, dass Deutschland derzeit zu wenige Mediziner hat und in Fachzeitschriften inseriert wird, dass freie Stellen in Deutschland zu besetzen sind. Das mutet schon seltsam an: Deutschland, zehnmal so groß wie Österreich, ist offenbar nicht imstande, hinreichend Ärzte für den eigenen Bedarf auszubilden - die aber zu uns kommen müssen, damit sie nach ihrer Ausbildung die dortigen Stellen besetzen. Das schreit ja förmlich nach einem zumindest bilateralen Finanzausgleich. Aber, und das ist wesentlich: Solange Österreich nicht nachweisen kann, einen müden Euro mehr ausgegeben zu haben aufgrund der Anmeldungen aus Deutschland, braucht Gehrer überhaupt nicht zu Verhandlungen fahren.

STANDARD: Debattiert werden auch Zugangsbeschränkungen, um Platz an den Unis zu schaffen. Wie stehen Sie dazu?

Van der Bellen: Es gibt sicher nichts Blöderes als den Numerus clausus, der auf Schulnoten basiert. Das hat man ja auch den Deutschen 20 Jahre lang gesagt, aber sie haben nicht darauf gehört. Das einzig Gute an der Debatte ist, dass man sich über Quantität und Qualität der Ausbildung den Kopf zu zerbrechen beginnt. Bis jetzt gibt es ja nicht einmal klare Kapazitätsdefinitionen an den Unis. Auf welcher Grundlage kann ein Rektor sagen: 500 Studierende sind o.k., aber 502 nicht? Und qualitativ: Da fehlt seit Jahrzehnten eine öffentliche Debatte, was "academic excellence" eigentlich ist und ob man sich mehr auf Forschung oder Standardausbildung konzentrieren soll. Diese Debatte ist längst überfällig.

STANDARD: Also, was tun an den überfüllten Unis?

Van der Bellen: Wir haben kein Patentrezept. Ich habe immer gesagt: Ich persönlich brauche überhaupt keine Zugangsbeschränkungen, nicht einmal ein Maturazeugnis. Das ist nur ein mehr oder wenig plausibler Indikator, dass jemand vielleicht für das Studium geeignet ist. Aber eines muss klar sein: Spätestens nach dem ersten Jahr an der Uni gibt es gewisse Qualitätsstandards, und die sind zu erfüllen - von jedem, von jeder, egal, von welcher Schule er oder sie kommt.

STANDARD: Was erwarten Sie von den Landtagswahlen?

Van der Bellen: Ich werde mich hüten, meinen Freunden eine Latte zu legen. Wenn es gut geht, hat Ingrid Lechner-Sonnek in der Steiermark die Chance, als Landesrätin in die Regierung einzuziehen. In Wien ist eines fix: Der nächste Bürgermeister heißt Michael Häupl, die SPÖ baut ihre absolute Mehrheit aus. Spannend bleibt die Frage, wer das Rennen um den zweiten Platz macht - die Kanzlerpartei ÖVP oder die Grünen um Maria Vassilakou. Im Burgenland macht die SPÖ die Absolute, die ÖVP stagniert und die Grünen legen zu.

STANDARD: Und was erwarten Sie von der EU-Präsidentschaft Österreichs? Van der Bellen: Ich glaube, dass Schüssel mit der Präsidentschaft kein großes Risiko eingeht. Die EU steckt so tief im Krisenschlamm, dass jedes halbwegs als positiv empfundene Ergebnis ein Erfolg ist. Und wenn nichts herauskommen sollte, wird man sagen: Na ja, da war halt von Anfang an nicht mehr zu machen. Die Nationalratswahl wird die Ratspräsidentschaft, aus heutiger Sicht, jedenfalls nicht beeinflussen. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.07.2005)