"Ich verdächtige die Foodies, den größten Spaß daran zu haben, sich in unfassbar teuren Restaurants und Feinkostläden sehen zu lassen. Da kommt bei mir Abscheu hoch - vor der Oberflächlichkeit, der Verschwendung, dem endlosen Befriedigungszwang", sagt Hamilton-Paterson.

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"Kochen mit Fernet-Branca" ist ein grotesk komisches Buch über Ausländer in der Toskana und die Obsessionen der Generation Food. Am Freitag erscheint der ebenso virtuose wie witzige Roman, inklusive abstruser Kochrezepte, auf Deutsch. Hamilton-Paterson lebt seit Jahrzehnten zwischen den Philippinen und der Toskana, gilt als einer der größten britischen Romanciers und hat in viel beachteten Essays die Entfremdung des modernen Menschen vom Tier, das ihn nährt, gegeißelt. Ein Gespräch über das Spannende an gastronomischen Moden, den Furor von Schweizer Tierschützerinnen und die Genießbarkeit von Sorbet aus Sardinen. DER S TANDARD: Im Buch gibt es mehrere Rezepte, die geräucherte Katze enthalten - eine Zutat, deren Ursprung Sie in Südtirol lokalisieren. Was wissen Sie von dieser Zutat und wie sind Sie ihr begegnet? James Hamilton-Paterson: Genau erinnere ich mich nicht mehr. Sicher hat mir vor Jahren ein italienischer Freund davon erzählt. Mich hat das interessiert, weil ich auf den Philippinen Katze gegessen habe, aber immer in Form eines Ragouts (adobong pusa), das hat den besonderen Fleischgeschmack maskiert. Deshalb war - und bin - ich interessiert, wie Katze schmecken mag, wenn sie anders zubereitet wird. Auf den Philippinen machen sich die Städter über die Landbevölkerung lustig, wie auch mein italienischer Informant Tiroler, die angeblich Katzen essen, als umnachtete Bergmenschen darstellte. Jeder Anthropologe weiß, dass gerade das Essen stets eine ergiebige Quelle für Fremdenfeindlichkeit quer durch die Zeitalter und Kulturen war. Haben Sie das selbst erlebt? Hamilton-Paterson: Vor Jahren habe ich für ein Schweizer Magazin ein paar Filipino-Gerichte beschrieben. Das gab einen Aufstand. Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich mit Hassbriefen bedacht, die meisten von überaus wohlerzogenen Damen, die mir auf prachtvoll monogrammiertem Briefpapier einen qualvollen Tod wünschten. Eine schrieb wörtlich: "Mögen Sie langsam an einem Stück Hund ersticken, und ein Huhn, welches nicht schon als Embryo gekocht worden ist, möge Ihnen zusätzlich auf den Kopf scheißen." Mir ist nie klar geworden, was ihr Missfallen erregt hat. Mehr, als über verschiedene Gerichte zu berichten, die mir auf Reisen untergekommen sind, habe ich nicht verbrochen. Vielleicht hätte ich Abscheu und Ekel zum Ausdruck bringen müssen, aber als Reisender fällt es einem zusehends schwer, vom europäischen Standpunkt moralische Urteile zu fällen. Gab es auch Zustimmung? Hamilton-Paterson: Ein Leser erwähnte ein Schweizer Tal, wo die Tradition, Hund zu räuchern und zu verspeisen, überlebt haben soll. Der Brauch sei heute aber zurückgegangen, wird jedenfalls geheim gehalten. Das ging mir durch den Kopf, als ich diese Passage des Buchs geschrieben habe.


Sie haben auch über die grausame Diskrepanz im Bewusstsein des modernen Konsumenten geschrieben: Einerseits essen wir Kalbsschnitzel und Fischstäbchen, ohne einen Moment an die Kreatur zu denken, die dafür ihr Leben geben musste - anderseits verabscheuen wir die Idee, Katze oder Hund zu verspeisen, als inhuman. Ist da etwas mit unserem Sinn für Realität und für das, was wir essen, falsch gelaufen?

Hamilton-Paterson: Eine Antwort ist, was ich eben erwähnt habe: dass Kulturen extrem konservativ über ihr bevorzugtes Essen denken und es als moralisch richtig verteidigen, selbst wenn es anderen völlig abartig vorkommen mag. Außerdem haben immer weniger Leute eine Ahnung vom Leben auf dem Lande, von den Tieren, die da leben und sterben. Ich habe gebildete Freunde in London, die wissen nicht, wie eine Kartoffelstaude aussieht. Das ist unfassbar. Ebenso gibt es wohl immer mehr Menschen, die noch nie ein lebendiges Huhn gesehen haben. Die gefrorenen Fischziegel im Supermarkt, Hamburger-Laibchen, Chicken-Nuggets usw. geben einem keinerlei Anhaltspunkt, dass dafür eine Kreatur ihr kurzes und oft grauenvolles Leben geben musste. Dabei werden wir noch unterstützt, uns nur ja keine Fragen über die Moral so eines Handelns zu stellen.

Wie das?
Hamilton-Paterson: Unsere Vorliebe für Fischstäbchen, Hamburger, Schnitzel etc. wird von Wirtschaft und Werbung aktiv unterstützt, abgesegnet und gefördert. Praktisch gibt es doch eine Verschwörung, die vorgibt, dass der Fisch, den wir essen, seinen Lebenszyklus im Tiefkühler begonnen hat. Wir haben viel zu viel Distanz aufgebaut zwischen uns und den Tieren, die wir verspeisen. Die Leute müssten gezwungen werden, ihren Bedarf an Fleisch selbst zu decken, ihre Tiere selbst zu schlachten. Wenn der Mensch sein Essen selbst töten muss, ändert das für die Tiere wenig, für den Menschen aber viel: Es schafft Bewusstsein, Respekt, es regt zum Nachdenken an.

Sie leben in der Toskana, einem Ferienziel kultivierter Briten, Deutscher, Österreicher. Wie geht es einem, wenn die Heimat alle Jahre wieder von Touristen überrannt wird, die auf der Jagd nach dem definitiven Olivenöl und ähnlichen Trophäen sind?
Hamilton-Paterson: Sie haben Recht. Ich lebe seit 24 Jahren hier, und langsam muss ich ans Abhauen denken. Es hat wohl mit den vielen toskanischen Landschaften auf Renaissancegemälden zu tun, dass der Bildungsbürger sein Glück bevorzugt in dieser Gegend sucht. Das Buch sollte ursprünglich keine Satire auf Foodies werden, aber mein wachsender Ekel vor der satten Selbstzufriedenheit und dem Snobismus, die damit zusammenhängen, ist dann, leider, durchgesickert. Trophäenjagd wie die von Ihnen erwähnte wecken nun einmal meine satirische Ader.


Die meisten im Buch enthaltenen Rezepte klingen ziemlich ungenießbar. Macht Ihnen Kochen Spaß?
Hamilton-Paterson: Hie und da ein Rezept zu erfinden, das macht Spaß. Aber ich bin kein Koch, und Single noch dazu. Da kommt man nur selten zum Kochen.

Der englische Drei-Sterne-Koch Heston Blumenthal wurde gerade zum besten Koch der Welt gewählt. Er macht Sorbet aus Sardinen. In Ihrem Buch wird Eiscreme mit 15 Zehen Knoblauch und ordentlich Fernet-Branca gerührt. Muss man Engländer sein, um auf solche Ideen zu kommen?
Hamilton-Paterson: Von Blumenthal habe ich vergangenen Monat zum ersten Mal gehört. Wahrscheinlich muss man nicht zwingend Engländer sein, um diese Art barocker (und oft auch ungenießbarer) Kreationen zu goutieren. Jetzt ist gerade "Fusion Cooking" populär, da scheint es nur logisch derart herumzuexperimentieren. Im Vergleich dazu wirkt die klassische, französische Küche irgendwie fossil. Sie steckt auch in einer Krise. Detto die französische Weinwirtschaft und - wie manche argumentieren - die Kultur als Ganzes. Je mehr die Académie Fran¸caise sich müht, eine unrealistische Vorstellung sprachlicher "Reinheit" hochzuhalten, desto mehr scheint der Rest von uns damit beschäftigt, in fröhlichem Internationalismus mit neuen und oft ziemlich bizarren Mixturen zu spielen.

In Italien wird gutes Essen seit jeher als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. England ist (wie auch Österreich) zu einer Nation von Foodies geworden, die endlos über Restaurants, Rezepte und kulinarische Abenteuer debattieren können. Was fasziniert Sie am Essen?
Hamilton-Paterson: Wie gesagt, Essen als solches fasziniert mich nicht besonders. Spannend ist das Verhalten des Menschen, besonders die Verwandlungen im Reigen der Moden. Es stimmt: Italiener setzen gutes Essen einfach voraus, aber sie machen keinen Fetisch daraus. Dank "Slow Food" ist ein Bewusstsein für Qualität und Tradition entstanden. Aber anders als in England und vielleicht Österreich, wo Essen erst verhältnismäßig kurz mit Genuss und Geschmack verbunden wird. Nach dem Krieg war es in erster Linie ein notwendiger Brennstoff, manchmal zufällig auch ein Quell der Freude. Heute sind wir reich und leisten uns "Trophy Eating" und geschmäcklerisches Auskennertum. Ich habe den Verdacht, dass die "Foodies" den größten Spaß daran haben, sich in angesagten Restaurants und unfassbar teuren Feinkostläden sehen zu lassen. Und nur ganz selten kommt bei Menschen meiner Generation plötzlich Ärger und Abscheu hoch, vor der Oberflächlichkeit, der Verschwendung und dem endlosen Befriedigungszwang. Und manche schreiben dann alberne Romane, in die sie ein wenig von ihrer Skepsis hineinpacken.
(Der Standard/rondo/29/07/2005)