Ausschnitt aus Joseph Führichs Karton zur dritten Station seines Kreuzwegs in der Johann-Nepomuk-Kirche: Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern.

Foto: Albertina

Dieses bedeutende Werk der österreichischen Romantik galt als verschollen.

Wien – Im Jahr 2000 fand Angela Völker, Leiterin der Textilsammlung am Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK), im Zuge einer kompletten Bestandsaufnahme der Sammlung eine Rolle dicht gewickelter, monumentaler Zeichnungen.

Die Arbeiten erwiesen sich als jene Kartons zu Joseph Führichs (1800-1876) Kreuzwegstationen in der Johann-Nepomuk-Kirche im zweiten Wiener Gemeindebezirk, nach denen der Kunsthistoriker Bernhard Rittinger (auch als Leiter des Dom- und Diözesanmuseums) jahrzehntelang erfolglos gefahndet hatte.

Der "Wiener Kreuzweg" Joseph Führichs, er entstand zwischen 1844 und 1846, gilt als einer der meistkopierten Passionszyklen des 19. Jahrhunderts. Die den Kartons beigepackte Notiz – "Erben Führichs" – legte die Spur zu den Besitzern. Die Erbengemeinschaft entschloss sich, den Komplex geschlossen der Albertina zu stiften. In den vergangenen drei Jahren wurden die Kartons restauriert, kaschiert und gerahmt und werden nun in einer Präsentation vereint mit themenbezogenen Leihgaben erstmals ausgestellt.

Und nicht nur der Blick von heute aus verrät eigenständige künstlerische Arbeiten. Schon seit der Renaissance wurden Kartons als selbstständige Kunstwerke geschätzt, zum Zeitpunkt ihrer Entstehung galten die "Vorzeichnungen" im Maßstab 1:1 als die eigentlichen Träger der Bildidee – den später farbig ausgeführten Fresken als gleichwertig. Zum Übertragen der Zeichnungen auf die Wand (der Zyklus befindet sich unter den Emporengängen von St. Nepomuk) wurden noch zusätzliche Pausen angefertigt.

Dem missionarischen Bewusstsein der Nazarener kamen die – transportablen – Kartons ebenso entgegen wie diverse druckgrafische Reproduktionen und Varianten des Originals. Dass dabei Schattierungen die Farbe ersetzen mussten, wurde eher als Qualität denn als Mangel begrüßt, als Mittel gesteigerter Konzentration, als Abstraktionsgrad, welcher der "Compassio", dem Mitleiden entgegenkommen sollte.

Die Albertina zeigt die Kartons im Vergleich mit Blättern zu Führichs zuvor für den Prager Laurenziberg entstandenem Kreuzweg. Im Nebeneinander mit der Prager Arbeit, in der Führich noch ganz seinem Ideal Dürer verpflichtet ist, erscheinen die Wiener Arbeiten weitaus plastischer, auch an Vorbilder aus dem Manierismus angelehnt. Das Geschehen wirkt weltlicher, "künstlerische"Absichten treten schon deutlich in den Vordergrund.

Die Fresken in den Seitenschiffen der Nepomuk-Kirche in der Praterstraße bilden zusammen mit jenen Leopold Kupelwiesers und Josef Schulz' und der Architektur Carl Rösners eines der bedeutendsten "Gesamtkunstwerke" der österreichischen Romantik. (DER STANDARD, Printausgabe, 02.08.2005)