Foto: Der Standard /Cremer
+++Pro Von Samo Kobenter Es sind die Zufälle, die unseren Beruf so reizvoll machen. Man sucht beispielsweise gerade nach einer Urlaubsvertretung, weil die kümmerlich wenigen goldenen Tage nun tatsächlich aus dem Nebelmeer der Fron aufzutauchen beginnen, und dann: Ruft doch eine liebe Kollegin auf der Suche nach einer Pro-Stimme an. Da kann man nur zusagen, demütig erschüttert vom vorbeirauschenden Flügelschlag der Metaphysik: Die Praxis, sorglos in den Tag geschustert, findet sich plötzlich von der wie gerufenen Theorie umarmt, und wir sehen uns gezwungen, über das nachzudenken, was wir gerade tun. Wer kann sich das denn noch leisten? Der Papst, der Bundeskanzler? Ich bitte Sie. Die Vertretung macht den Urlaub erst dazu. Sie wiegt uns in der süßen Gewissheit, knapp an der Unersetzlichkeit zu leben. Wer vertreten werden muss, ist. Wer nicht vertreten wird, nicht. So einfach ist die betriebliche Seinsfrage geregelt. Kein Wunder, dass viele - erwarten Sie jetzt bloß keine Namen - ein halbes Berufsleben daran arbeiten, diesen Status zu erlangen. Und kommen Sie nicht mit dem, Pardon, etwas simplen Einwand, dass wahre Größe nicht vertreten werden kann, weil sie unersetzlich ist. Schon einmal einen Papst gesehen, der nicht ersetzt wurde? Oder einen Bundeskanzler? Na also. Nur wenige aber erreichen den Parnass. Der sähe so aus, dass man vom Urlaub zurückkäme, der Vertretung eine Schachtel Konfekt hinlegte und ihr zuflüsterte: Lass dich nicht stören, bin schon wieder weg. Bei fortlaufenden Bezügen, selbstverständlich.
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Contra--- Von Karl Fluch Ich will gar nicht lamentieren, was es bedeutet, als Dienstleistungsempfänger mit Urlaubsvertretungen zu tun zu haben: von wegen die eigene Post mit zwei verschiedenen Nachbarn zusammentauschen müssen und dabei das Ansehen verlieren, weil die leicht pikiert wirkende Dame auf Tür 19 wegen eines unfähigen Interimspostlers nun schon zum zweiten Mal das Interessenmagazin Hustler mit meinem Namen in ihrem Postfach auffand und die beim ersten Mal noch geäußerte Unschuldsvermutung - "wohl ein Irrläufer!" - nun definitiv nicht mehr zur Anwendung kommt. Damit kann ich leben. Das wahre Problem ist: Urlaubsvertretungen sind kleine Schwestern großen Übels. Fallstricke, die direkt in die Fänge der unheiligen Pilgerstätte des Arbeitsamts führen können. Die Urlaubsvertretung ist ein Indiz für die eigene Austauschbarkeit. Sie bedeutet: Hau dich ruhig ein paar Wochen mit deiner Plage an einen Strand. Wir schaffen es auch ohne dich. Wenn's sein muss für immer. Nicht mit mir. Wenn ich auf Urlaub gehe, muss der Laden zusammenbrechen. Meine Abwesenheitsnachrichten lesen sich demzufolge nicht "Wenden Sie sich bitte an XY". Nein, hier steht: "Tief betrübt teilen wir Ihnen mit, dass der von Ihnen gewünschte Mitarbeiter im Moment im Urlaub weilt. Unersetzlich wie er ist, sehen wir uns außerstande, Ihnen die Dienste von jemand anderem an seiner statt anzubieten. Bitte versuchen Sie es in vier Wochen wieder." So und nicht anders - auch wenn es ein Wachtraum bleibt. (Der Standard/rondo/05/08/2005)