Foto: AK Niederösterreich
derStandard.at: Eine neue EU-weite Berechnung der Arbeitslosenquote kostete Österreich einen Spitzenplatz in Europa. Wie gut oder wie schlecht stehen wir im EU-Vergleich wirklich da?

Pointecker: Österreich ist hinter Länder wie Irland, die Niederlande, Großbritannien und Dänemark zurückgefallen, das Arbeitslosigkeitsrisiko ist bei uns jedoch noch immer geringer als in vielen anderen Ländern.

Der Grund dafür liegt in der erfolgreichen Vollbeschäftigungspolitik vergangener Jahrzehnte. Wir hatten Vollbeschäftigung, als Europa bereits unter Massenarbeitslosigkeit litt. Doch dieser Polster ist nun weg.

derStandard.at: Österreich verzeichnete im Juni eine Rekordarbeitslosigkeit. Tut die Regierung - wie Arbeitsminister Martin Bartenstein meint - wirklich alles, was sie kann?

Pointecker: Sie könnte in einigen Bereichen mehr Beschäftigung schaffen: mehr Ganztagsschulen und ganztägige Kinderbetreuung in Horten und Kindergärten würde sowohl zusätzliche Beschäftigung schaffen, als auch den beruflichen Wiedereinstieg von Eltern, besonders Müttern, erleichtern.

Mittel für den Ausbau von öffentlichem Verkehr und die längst fälligen Verkehrsverbindungen in die neuen EU Mitgliedsstaaten hätten direkte Beschäftigungswirkungen. Außerdem könnten mehr PendlerInnen auf Öffis umsteigen und angesichts derzeitiger Spritpreise Geld sparen, Nerven und die Umwelt schonen.

Eine Ausweitung der Negativsteuer für KleinverdienerInnen, die nichts von der Steuerreform haben, würde zu fast 100 Prozent in mehr Nachfrage münden und so die Konjunktur beleben. Und nicht zuletzt Investitionen in Bildung und Qualifizierung: PflichtschulabsolventInnen haben ein drei mal höheres Arbeitslosigkeitsrisiko im Vergleich zu Personen mit Lehrabschluss. Da wäre viel zu tun.

derStandard.at: Bartenstein erwartet von der am Montag präsentierten Beschäftigungs- und Wachstumsoffensive 20.000 neue bzw. gesicherte Arbeitsplätze. Ist das realistisch?

Pointecker: Das kann weder ich noch Bartenstein wissen. Ob dieses Paket tatsächlich zu mehr Beschäftigung führt, hängt auch von den Bedingungen ab, unter denen die Kredite vergeben werden. Werden beispielsweise neue Maschinen gekauft, die weniger Arbeitskräfte benötigen, könnte es sogar zu einem Beschäftigungsabbau kommen, insbesondere wenn die neuen Maschinen importiert werden.

Vor allem werden viele Unternehmen mit den Förderungen Investitionen tätigen, die sie ohnehin geplant haben (Mitnahmeeffekte). Dann steigen die Profite ohne zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen.

derStandard.at: Der Erfolg des Maßnahmenpakets steht und fällt mit dem Investitionswillen der Unternehmen. Gibt es den überhaupt?

Pointecker: Unternehmen investieren, wenn sie glauben, dass sie mehr verkaufen können. In konjunkturschwachen Zeiten veranlagen sie höhere Unternehmensgewinne lieber auf den internationalen Finanzmärkten.

Während die Exporte florieren, stagniert die heimische Nachfrage seit Jahren wegen sinkender Reallöhne, verstärktem Sparen seit der Pensionsreform und steigender Arbeitslosigkeit. Wenn es gelingt, diese Spirale zu durchbrechen, steigen die Investitionen auch ohne Förderung.

derStandard.at: Ist die Regierung auf einem Auge blind?

Pointecker: Der private Konsum macht fast 60 Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung aus. Wenn er endlich in Fahrt kommt, wird die Arbeitslosigkeit sinken, auch die Investitionen werden dann anspringen. Doch da bremst die Wirtschaftspolitik eher als sie anschiebt.

Die Wirtschaftspolitik konzentriert sich auf die ohnehin sehr gute internationale Konkurrenzfähigkeit. Österreich hat stark steigende Exporte und trotzdem steigt die Arbeitslosigkeit von Monat zu Monat. Der Grund ist, dass die Exporte viel weniger beschäftigungsintensiv sind als die Binnennachfrage.

derStandard.at: Die Arbeitslosigkeit steigt in ganz Europa - seit den 1990ern bewegt sich die Arbeitslosenquote auf hohem Niveau, und die Beschäftigung stagniert. Was können da nationale Initiativen überhaupt ausrichten?

Pointecker: Während die Weltwirtschaft boomt, herrscht in Europa nahezu Stagnation. Doch anstatt mal zu fragen, ob der europäische Patient nicht seit Jahren die falsche wirtschaftspolitische Medizin bekommt, soll die Dosis weiter erhöht werden, ich denke da etwa an die Dienstleistungsrichtlinie.

Dazu kommt die Politik der europäischen Zentralbank, die im Gegensatz zur amerikanischen Fed nur auf die Inflation achtet und Wachstum und Beschäftigung zu wenig berücksichtigt. Trotzdem zeigen einzelne Länder, beispielsweise in Skandinavien, dass steigende Beschäftigung und sinkende Arbeitslosigkeit möglich sind.

derStandard.at: Gibt es in Sachen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik Maßnahmen in Ländern der EU, die sich Österreich zum Vorbild nehmen könnte bzw. sollte?

Pointecker: In Dänemark, einem ähnlich kleinen Land, ebenfalls Nachbar von Deutschland, gelang es in den 90er Jahren die Arbeitslosigkeit mehr als zu halbieren. In Dänemark wurden öffentliche Investitionen ausgeweitet, und Einkommenssteuern gesenkt, um den Konsum anzukurbeln. Das entstandene Budgetdefizit wurde durch Wachstum und sinkende Arbeitslosigkeit in hohe Budgetüberschüsse verwandelt.

Andererseits wurde eine Arbeitsmarktreform unter dem Titel "Flexicurity" – Flexibilität plus soziale Sicherheit durchgeführt: geringer Kündigungsschutz, so wie in Österreich, und hohe soziale Sicherheit - Arbeitslosengelder von bis zu 90 Prozent des Lohns - ermöglichen hohe Jobmobilität und verringern die Angst vor Jobverlust.

Eine umfassende Aktivierungspolitik, die Arbeitslosen Weiterbildung ermöglicht oder durch Beschäftigungsmaßnahmen ins Erwerbsarbeitsleben integriert, erleichtert den Arbeitslosen in Dänemark die Rückkehr in den Arbeitsmarkt.

derStandard.at: Bereits vergangene Woche stellte Bartenstein das Modell des Kombilohns vor. Viele Kritiker sehen darin vor allem die Gefahr von Lohndumping. Wie stehen Sie zu der Idee der Lohnsubvention - bringt sie mehr Nutzen oder mehr Risiken?

Pointecker: Hier besteht das hohe Risiko einer Unternehmenssubvention, ohne beschäftigungswirksam zu sein. Wenn eine Verkäuferin, die jetzt 1000 Euro verdient, ersetzt wird durch eine arbeitslose Verkäuferin, der das Unternehmen nur noch 650 Euro bezahlt und 350 Euro aus Steuern finanziert werden, dann ist das schön für das Unternehmen, aber kein Beitrag zur Senkung der Arbeitslosigkeit.

derStandard.at: Kann es Vollbeschäftigung in Zeiten der Globalisierung überhaupt noch geben?

Pointecker: Ganz klar, ja. Jedoch muss die Globalisierung grundlegend anders laufen und statt des Profits den Menschen in den Mittelpunkt rücken. Wenn es für mehr Arbeit weniger Lohn gibt, haben die Unternehmen ein Absatz- und die Beschäftigten ein Arbeitslosigkeitsproblem.

Eine Globalisierung, die Bildungschancen für alle, faire Löhne, ArbeiternehmerInnenrechte und ökologische Produktionsweise verfolgt, wird auch Vollbeschäftigung leichter erreichen können. Da ist gerade die Wirtschaftsmacht EU gefordert und Österreich hat im nächsten Halbjahr die Chance was zu bewegen. So die Regierung will. (red/har)