Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war letzte Woche. Jedenfalls habe ich da zum ersten Mal zugehört. Aber weil das den Inder allem Anschein nach irritiert hat, bin ich erst ein wenig später zu der jungen Frau auf dem Knotzdingsbums im Museumsquartier zurückgekommen. Um zu fragen, wie es eigentlich weiter geht, wenn man dem Inder nicht sagt, dass man ihm auch einen schönen Tag wünsche, aber gerade keine Zeit habe.

Denn genau das habe ich bisher immer gemacht, wenn mich der Inder angesprochen hat. Genau genommen weiß ich daher auch nicht, ob der Inder ein Inder ist. Aber er sieht genau so aus, wie Inder in Klischeefilmen aussehen: Groß und dicklich. Mit Bart und wallenden Gewändern. Und Turban. Ganz wichtig: Turban. Und bevor ich mich auf eine Debatte einlasse, ob der Mann nun ein Sikh, ein Pakistani oder sonst was ist, etikettiere ich ihn einfach als Inder. So wie das alle tun, die er bisher angesprochen hat. Und das sind nicht wenige.

Von hinten

Denn der Inder spricht Passanten an. Meist kommt er schräg von hinten und sagt dann mit einem Ton, der weder Zweifel noch Kritik noch Widerspruch duldet „You are a happy man.“ (Bei Frauen wird es wohl „woman“ sein – aber auch das ist nur eine Vermutung.) Danach reicht er einem die Hand. Und will ein Gespräch beginnen.

Blöderweise hat mich der Inder bisher immer dann erwischt, wenn ich entweder keine Zeit hatte. Oder seine Eröffnung für eine Mischung aus Frozzelei und Zynismus hielt. Oder einfach keine Lust hatte, mit einem Wildfremden zu plaudern: Meistens zog ich mich mit einem „I hope you are happy too“ aus der Affäre. Aber irgendwie wollte ich schon wissen, was der Inder eigentlich will.

Lauschangriff

Deswegen setzte ich mich letzte Woche im MQ auf das der jungen Frau und dem Inder benachbarte Knotzdingsbums. Denn der Inder redete auf die Frau ein. Dozierend. Und sie sah ihn verblüfft und immer wieder nickend an: Irgendwie schien ihr das, was sie da hörte nicht ganz geheuer zu sein. Aber leider senkte der Inder die Stimme als ich mich setzte ­ und so zog ich weiter.

Als ich zurückkam, war die Frau alleine. Und weil sie gerade von ihrem Buch aufblickte und mich anlachte, fragte ich sie, ob ich sie fragen dürfe, was der Inder eigentlich tue, wenn man ihn lasse. Die Frau gestattete – und erzählte.

Der Inder begänne, sagte sie, zunächst ein harmloses Gespräch und schwenke dann auf das Schicksal und seine Volten. Dann böte er exklusives Handlesen an. Für 30 Euro. Hier und jetzt. Das sei, sagte die junge Frau, ihr zwar zuviel gewesen, aber der Inder habe sich auf eine Zehn-Euro-Kurzfassung herunterhandeln lassen. Nicht dass sie, meinte die junge Frau, auf Handlesen abfahre – aber zehn Euro gebe man über den Tag verteilt doch oft für weit Sinnloseres aus.

Einblicke

Und dann habe sie gestaunt: Der Inder habe tatsächlich Dinge aus ihrer Hand gelesen, die weit über das von ihr erwartete „du warst einmal ein Kind. Das war, bevor du erwachsen warts ­ und du warst schon traurig und glücklich“-Zigeunerinnengeschwafel hinausgingen. Dann, sagte die Frau, habe der Inder ihr ein Amulett angeboten. Einen Stein, der genau zu ihrer Aura passen würde. Da habe sie geblockt. Nicht zuletzt, weil der Inder den Stein mit ihr gemeinsam von irgendwo holen wollte. Darauf habe sie, meinte die Frau, keine Lust gehabt. Nicht zuletzt, weil sie sich nicht sicher war, ob der Inder ihre Hand tatsächlich nur aus seherischen Gründen so lange festgehalten habe.

Insgeheim, sagte die Frau, ärgere sie sich mittlerweile über ihre Unterstellung. Denn der Inder sei absolut höflich, taktvoll und korrekt gewesen ­ und dass Handlesen ohne Handhalten kaum geht, sei doch irgendwie logisch. Trotzdem.

Forschungsauftrag

Aber, meinte sie und strahlte mich an, sie habe da jetzt eine Idee: Wir sollten die Erforschung des Treibens des Inders zusammen weiter betreiben. Und jetzt sei ich dran. Wenn mich der Mann mit dem Turban das nächste Mal anspräche, müsse ich mich auf das Spiel einlassen ­ und dann würden wir ja sehen, wohin das ­ und der Inder ­ führen würde. In jedem Fall solle ich ­ ein „happy man“, wie sie augenzwinkernd meinte - sie nachher anrufen. Natürlich nur, um ihr zu berichten.

Seither trage ich ein – wie ich glaube – demonstrativ zufriedenes Lächeln mit mir spazieren. Eines, von dem ich hoffe, dass es den Inder anlockt. Aber nichts passiert. Kein Mensch redet mich mit guturalem Englisch schräg von hinten an. Das tun dafür andere. Heute traf ich zufällig einen alten Bekannten auf der Straße. „Du lächelst so glücklich“ eröffnete er das Gespräch. Als ich antwortete, dass er mir gerne aus der Hand lesen dürfe ­ aber er fragte nur, ob ich mittlerweile vollends plemplem sei.