Wien - Die Wiener Richter und Staatsanwälte geben ihren Widerstand gegen den von Justizministerin Karin Gastinger (B) beschlossenen Neubau eines zweiten Wiener Straflandesgerichts mit angeschlossener Justizanstalt nicht auf. In einem offenen Brief forderten sie Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) am Mittwoch auf, "von einer Teilung des Landesgerichts für Strafsachen Abstand zu nehmen und es nicht zuzulassen, dass Unsummen öffentlichen Geldes zusätzlich ausgegeben werden".

Das Justizministerium reagierte Mittwochnachmittag mit Empörung: Das Schreiben der Richter und Staatsanwälte sei eine "Irreführung", so der Sprecher von Justizministerin Karin Gastinger.

Doppelte Strukturen

Eine Teilung würde die von der Bundesregierung insgesamt verfolgte Linie einer schlanken und effizienten Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben konterkarieren, heißt es im Schreiben an Bundeskanzler Schüssel. Ein zweites, kleineres Strafgericht hätte die Verdoppelung bestehender Strukturen zur Folge, was einen enormen zusätzlichen Personal- und Sachaufwand nötig mache.

Die Richter befürchten, dass die Finanzierung "nur über eine weitere Reduzierung des schon derzeit äußerst knapp kalkulierten Personalaufwands erfolgen kann". Dies wiederum könnte "im Extremfall" zum Stillstand der Strafrechtspflege führen.

"Kein sachlicher Grund"

Das Justizministerium habe keinen einzigen sachlichen Grund genannt, "der den enormen zusätzlichen und in keiner Weise dringenden Sachaufwand rechtfertigen würde", kritisieren die Richter. Demgegenüber habe die Richterschaft in mehreren Arbeitsgruppen zahlreiche Sachargumente gegen ein zweites Strafgericht vorgebracht, in die jederzeit Einsicht genommen werden könne.

Als "geplante Irreführung" hat das Justizministerium am Mittwoch den offenen Brief bezeichnet. Die gesamte Bundesregierung sei über den beabsichtigten Neubau eines zweiten Strafgerichts mit angeschlossener Justizanstalt selbstverständlich umfassend informiert worden, betonte der Sprecher von Justizministerin Karin Gastinger (B), Christoph Pöchinger.

"Justitia keinen guten Dienst erwiesen"

Das Ministerium sei grundsätzlich nicht bestrebt, mit einer Teilorganisation der richterlichen Standesvertretung über die Medien eine Auseinandersetzung zu führen, so Pöchinger gegenüber der APA. Die Wiener Richter hätten mit ihrem Vorgehen Justitia jedoch keinen guten Dienst erwiesen, indem sie sich offenbar "blind" gegenüber der Fülle von Argumenten zeigen, die für ein zweites Strafgericht sprächen. "Sie stellen bloß ihren eigenen Standpunkt als vertretbar dar", meinte Pöchinger.

Das Schreiben ist vom Betriebsausschuss des bestehenden Straflandesgerichts, dem Vorsitzenden des Dienststellenausschusses für Staatsanwälte bei der Oberstaatsanwaltschaft Wien sowie dem Vorsitzenden des vereinigten Dienststellenausschusses beim Landesgericht und der Staatsanwaltschaft Wien unterzeichnet. (APA)