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Illustration: Papageigrüner Saftling, M.C. Cooke, England 1891

Grafik: dpa

Im August erreicht die russische Schwammerl- saison einen Höhepunkt. Auch morgen, Samstag, werden wieder viele Hunderttausend Frühaufsteher die ersten Metros und Züge in Moskau oder Petersburg (aber auch im Baltikum und der Ukraine) kapern, um sich im Morgengrauen in die Weiten der großen Wälder entführen zu lassen. Sie pflegen eine meditative Form des gebückten Waldspaziergangs, die reiche Ernte verspricht. Wenn man nur früh genug aufsteht.

Schwammerlsuchen ist ein Teil der russischen Seele und eine willkommene Aufbesserung des Speiseplans. Wer "russia and mushrooms" googelt, findet sich etwa auf einer Kontaktagentur für heiratswillige Russinnen wieder, von denen viele sehr gerne Schwammerln suchen. Wenn Russen lesen lernen, dann ist beim Buchstaben "G" ein Schwammerl gemalt - für "grib". Ein populäres Kinderlied heißt "Panik bei den Pilzen". Nicht ganz unangebracht, sterben doch jedes Jahr an die 80 Russen an einer Pilzvergiftung.

Narrische Schwammerln

Manches dürfte durch Überdosierung von psychoaktiven oder heilkräftigen Giftpilzen verursacht sein. Narrische Schwammerln sind ein beliebtes Rauschmittel in der Armee, was manchmal zu Amokläufen derangierter Soldaten führt. Babuschkas wiederum wissen um die Wirkkraft von Pilzen und verabreichen jene gegen Migräne, diese bei Arthritis - nicht immer in exakter Menge.

Die Vielfalt und Qualität des Angebots ist einzigartig: Morcheln, Birkenpilze, Wiesenchampignons, Steinpilze und Rotkappen, und von Würmern keine Spur. Bei der Zubereitung hält sich die Fantasie aber in Grenzen. Das Meiste wird für Suppen getrocknet oder, wie Gurken oder rote Rüben, in Essigwasser eingelegt. Im Verbund mit Kräutern und Gewürzen schmeckt das zwar auch so angenehm, dass ein Einmachglas nie lange überlebt, den Vergleich mit sautierten Steinpilzen vertragen die gesäuerten aber schlecht. Frische Pilze werden stets gedünstet, nicht gebraten.

Eierschwammerln gibt es auch zuhauf, die sind aber, da für Trocknen und Einsäuern nicht geeignet, vergleichsweise unpopulär. Vielleicht finden sie deshalb als Einzige ihren Weg auch in österreichische Märkte. Da hilft nur eines: eine Reise tun. (corti/Der Standard/rondo/19/08/2005)