Mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms sei das Ende vieler Krankheiten gekommen, hieß es in den hoffnungsfrohen Neunzigerjahren. Recht behalten haben die Skeptiker: Man hat allenfalls lesen gelernt, die eigentliche Arbeit steht erst noch bevor. Gleichwohl: Soll man den Hype von damals kritisieren? Denn das nun auf einem ganz anderen Niveau geforscht werden kann, bestreitet niemand. Die entscheidenden Prozesse spielen sich auf der molekularen Ebene ab - aber die sind, vorsichtig ausgedrückt, komplex. Der neue Hoffnungsträger ist nun für viele die Bioinformatik, weil sie verspricht, diese Komplexität zu durchleuchten und damit letztlich auch den Weg zu Therapien zu weisen.

Optimistisch gibt sich Bernhard Tilg, der Rektor der UMIT, der Privatuniversität für Medizinische Informatik in Hall in Tirol. Für Tilg wachsen Bioinformatik und biomedizinische Informatik immer mehr zusammen - eine Entwicklung die im Zusammenspiel der UMIT mit den Kompetenzzentren HITT (Health Information Technologies Tyrol) und dem KTM (Kompetenzzentrum Medizin Tirol) vorangetrieben werden soll. Tilg verweist auf die weltweite Konjunktur der Systembiologie, die Daten aus der Genomik, der Proteomik und der Metabolomik (der Analyse von Stoffwechselprodukten) zu integrieren sucht, um entsprechende Targets etwa in der Krebsforschung zu finden.

Für Frank Eisenhaber, den Leiter der Gruppe Bioinformatik am Wiener IMP (Institut für Molekulare Pathologie), ist die Systembiologie hingegen mehr ein frommer Wunsch. Wie könne man von einer derartigen Überwissenschaft sprechen, wenn man noch nicht einmal die molekularen Mechanismen im Einzelnen verstehe? Klar, man könne Inhibitoren für bestimmte Proteine identifizieren, aber der gewünschte "Totalausfall" eines Prozesses lasse sich damit nur selten herbeizwingen. Denn gerade bei lebenswichtigen Mechanismen wie der Regulierung des Energiestoffwechsels gebe es mehrere Mechanismen.

Und dass Pharmafirmen viel Geld sparen können, indem sie die Entwicklung von Medikamenten größtenteils virtuell durchführen, sei auf absehbare Zeit ebenfalls nicht realistisch. Allenfalls ließe sich der Anstieg der Kosten abbremsen, so Eisenhaber. Gleich, auf welcher Seite man hier steht - eine Alternative zur Erforschung der molekularen Prozesse gerade auch mit Hilfe der Bioinformatik gibt es nicht. Ob der gemachte Wind bloß heiße Luft oder vielmehr nötige Antriebskraft ist, wird man sehen. (oh/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 8. 2005)