Die ehemalige Solidarnosc-Aktivistin Barbara Labuda.

Foto: DER STANDARD
Barbara Labuda, früher bei Solidarnosc aktiv und nun Mitarbeiterin des Exkommunisten Kwasniewski, sprach mit Gabriele Lesser über die Gewaltfreiheit der polnischen Freiheitsbewegung.

*****

STANDARD: Lech Walesa will die Solidarnosc nach den 25-Jahr-Feiern verlassen. Verstehen Sie seine Entscheidung?
Labuda: Die heutige Solidarnosc hat mit der von 1980 nur noch den Namen gemein. Aus der Freiheitsbewegung von einst ist eine klassische Gewerkschaft geworden. Noch dazu eine mit sehr konservativen Ansichten. Ich bin schon 1992 ausgetreten. Und nun also Walesa. In den Jahren 1980 bis 1989 wurde Walesa zu einem legendären Arbeiter- und Freiheitsheld. Das wird er für uns alle bleiben, ob er nun Mitglied in der heutigen Solidarnosc ist oder nicht.

STANDARD: Was ist die Solidarnosc im Rückblick für Sie?
Labuda: Für mich war die Solidarnosc der frühen 80er-Jahre eine Organisation, die Menschen mit den unterschiedlichsten politischen Überzeugungen und Lebenseinstellungen anzog: Christdemokraten, Liberale und Sozialisten, Modernisten und Traditionalisten. Wir haben einander akzeptiert. Das fasziniert mich bis heute. Damals hatten wir ein gemeinsames Ziel, das ist jetzt verschwunden. Gott sei Dank. Das totalitäre System ist in sich zusammengebrochen - dank uns, dank der Solidarnosc. Seitdem gehen wir wieder unsere eigenen Wege.

STANDARD: Hätten Sie nicht gerne dieses "Gemeinsam sind wir stark"-Gefühl zurück?
Labuda: Ich war von Anfang an dabei, habe die Freiheitsbewegung in Breslau mitbegründet. Solidarnosc ist so etwas wie mein zweites Kind. Ich bin glücklich, wenn ich an die ersten Jahre zurückdenke. Das war die schönste Zeit meines politischen Lebens. Zurück möchte ich nicht. Heute bauen wir die Demokratie auf. Das ist schwieriger, als wir dachten, aber dafür haben wir gekämpft, und das tun wir jetzt auch.

STANDARD: Sie sind bereits 1992 aus der Solidarnosc ausgetreten, 1995 auch aus der Freiheitsunion, der Solidarnosc-Intellektuellenpartei. Warum?
Labuda: Um meinen Idealen treu bleiben zu können. Ich kämpfte für ein liberales Polen - mit Freiheitsrechten auch für die Frauen und die Minderheiten. 1995 kandidierten Lech Walesa und Aleksander Kwasniewski für das Präsidentenamt. Walesa war ein guter Arbeiterführer, ein Freiheitsheld, aber er war kein guter Präsident. Ich wollte verhindern, dass er ein zweites Mal zum Präsidenten gewählt wird, und unterstützte daher Kwasniewski. Er kam zwar aus der kommunistischen Partei, die ich wenige Jahre zuvor selbst noch bekämpft hatte. Aber er schien mir offen und liberal zu sein. Er wollte ein Präsident "aller Polen" sein. Das hat mir imponiert.

STANDARD: Das brachte Ihnen den Vorwurf des "Verrats" ein.
Labuda: Ich bin stark genug, das auszuhalten. Die Entscheidung für Kwasniewski war richtig. Damals haben viele Solidarnosc-Mitglieder gegen Walesa gestimmt, sich aber nicht getraut, es offen zuzugeben. Kwasniewski hatte zuvor einige meiner Gesetzesvorhaben unterstützt, auch das über Sexualunterricht in der Schule. Die Kirche kritisierte mich heftig. Priester schimpften von der Kanzel auf mich herab. Walesa legte dann sein Präsidentenveto ein, und das Gesetz wanderte in den Papierkorb. Walesa und Kwas- niewski haben sich inzwischen versöhnt. Polen hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Der Hass auf die jeweils andere Seite ebbt ab. Die Oppositionellen wurden immerhin über Jahre verfolgt, schikaniert und saßen oft jahrelang im Gefängnis. Ich genauso wie Lech Walesa, Adam Michnik oder Jacek Kuron. Die Parteifunktionäre verloren durch uns ihre Privilegien und Pfründen. Was heute zählt, ist nicht mehr die politische Herkunft, sondern das, was jemand tut und denkt.

STANDARD: Was ist das Erbe der Solidarnosc?
Labuda: Die Veränderbarkeit der Welt. Wir haben gezeigt, dass man die Welt verändern kann, wenn man nur will. 1980 haben wir in Polen einen Prozess begonnen, von dem alle gesagt haben, dass er zu nichts führt, weil die Partei niemals ihre Macht abgeben wird. Solidarnosc aber hat gezeigt, dass es doch geht - und sogar mit friedlichen Mitteln. Wir haben keine Bomben geworfen, keinen Krieg begonnen und auch keine Parteibonzen aufgehängt. Wir hatten eine Ethik. Jeder hat jedem geholfen, keiner hat einem anderen geschadet. So haben wir die Freiheit erkämpft.

STANDARD: Wieso ist im Zusammenhang mit Solidarnosc sowenig von Frauen die Rede?
Labuda: Das ist ein Teil des Erbes, der verloren zu gehen droht. Gut die Hälfte der Mitglieder waren Frauen. Ohne sie hätte es im Kriegszustand kaum Untergrundzeitungen und Radiosender gegeben.

STANDARD: Im Westen fragte man: Wieso hängen die Polen die Schwarze Madonna von Tschenstochau ans Werfttor? Labuda: Die Massengebete waren wichtig, auch Papst Johannes Paul II. gab uns Kraft. Ich gehöre zu den wenigen nicht gläubigen Polen, aber der Papst und die Madonna gaben uns das Gefühl, auf der Seite der Guten zu stehen. Natürlich hätten wir auch Molotowcocktails bauen könne. Explosives Material gab es ja auf der Werft genug. Wir hätten Terroristen werden können. Aber unsere Ethik war eine andere. Wir wollten Freiheit und Demokratie. Keine Gewalt und keinen Krieg. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.08.2005)