Irgendjemand musste ja den Anfang machen. Und wenn heimische Supermärkte bereits jetzt mit adventähnlichem Lebkuchengebäck verwirren, dann darf auch die sächsische Stadt Chemnitz im September zum Weihnachtsmarkt einladen. Immerhin wird das 170 Stände zählende Großaufgebot an Glühweinseligkeit erst zwei Wochen später als in Wien aufgefahren, nämlich ab 27. November. Unterm Strich bleibt also mehr Herbst und der wird auch in Chemnitz musikalisch gerne an den Jazz gekoppelt. Noch bis zum 18. November läuft das 13. Jazzfest mit einem Schwerpunkt rund um die Hammond-Orgel.

Aber wie kommt man eigentlich dazu, ausgerechnet nach Chemnitz "abzubiegen", für das Mozartjahr 2006 lohnt der Umweg nicht, das wird auch hier üppig ausfallen; wer sich allerdings ohnehin entschieden hat, etwa Leipzig zu besuchen, das mit dem Billigflieger Air Berlin ab 75 € pro Strecke verführerisch nahe gerückt ist, sollte auf den kleinen Umweg nicht verzichten.

Die Stadt ist Teil der Europäischen Henry van de Velde Route, eines architektonischen Pfades, der sich von Frankreich durch Belgien bis nach Deutschland zieht und Repräsentanten des beachtlichen Jugendstil-Erbes des Künstlers miteinander verbindet. In Chemnitz reicht ein Spaziergang durch das Kaßberg-Viertel, um diese Epoche zu erwandern.

Noch komprimierter in Sachen Jugendstil ist ein Besuch der Villa Esche, dem heutigen Van-de-Velde-Museum, das als einziges Deutschlands seine Kunsthandwerke gesammelt hat. Nebst der so typischen Karstadt-und-Kaufhof-Architektur, die auch vor Chemnitz nicht Halt gemacht hat und dem Relikt einer übergroßen Marx-Büste recht hilflos gegenübersteht, blieb angenehmerweise der Theaterplatz mit dem Opernhaus und dem König-Albert-Haus sehr homogen erhalten. Letzteres beherbergt vor allem eine ansehnliche grafische Sammlung und wer nach diversen Werken von Munch und Dürer fahndet, wird hier fündig.

Wohl am wenigsten würde man sich das viele Grün erwarten, das man sich quasi aus dem nahen Erzgebirge in die Stadt geholt hat: Allein der Stadtpark ist sechs Kilometer lang und vor den Toren der Stadt geht's nahtlos weiter, etwa mit der Renaissanceanlage von Schloss Klaffenbach. Dort kann man mittlerweile auf Viersterneniveau zu günstigen Preisen wohnen. Der letzte Umweg führt uns nach Seiffen, das sich praktisch zur Gänze der Spielzeugherstellung verschrieben hat und dies auch in mehreren Museen unter Beweis stellt. Der Besuch lohnt sich speziell für jene, die wissen wollen, woher denn die Nussknacker und Krippen für den Weihnachtsmarkt kommen. (saum, Der Standard, Printausgabe 17./18.9.2005)