Zeruya Shalev
Späte Familie.
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler.
€ 22/
590 Seiten.
Berlin Verlag, Berlin 2005

Foto: Berlin Verlag

In der Geschichte des bürgerlichen Realismus firmiert der Ehebruch als "skandalöser" Meilenstein auf dem Weg in die Autonomie des Weiblichen: Frauen bestehen störrisch auf der Eigensinnigkeit ihrer vordem negierten Glücksansprüche. Sie nutzen, wie die berühmte Madame Bovary, das stupide Gedränge auf provinziellen Landwirtschaftsmessen, um sich außerehelich zu verlustieren.

Gustave Flauberts Anmerkung, er selbst sei Emma Bovary gewesen, mengt der widersprüchlichen, ja unerquicklichen Lage einen Schuss Wermut bei. Es sind schließlich die großen auktorialen Entwürfe männlicher Meistererzähler, die Frauen wie Effi (Briest), Emma oder Anna (Karenina) aus dem bürgerlichen Anstandsnest hinausgedrängt haben. Es gibt, wie zum Ausgleich, heute eine "weibliche" Literatur, die als verspätetes Echo auf die Entmündigung durch wohlmeinende Prosa- Paschas nachhallt - Selbstermächtigungstexte, die nun ihrerseits so tun, als müssten sie sich vor allem mit Anstandsfragen herumquälen. Der neue Roman der Israelin Zeruya Shalev erzählt Selbstverständliches: die Aufkündigung eines Beziehungskontraktes durch die Jerusalemer Archäologin Ella, die zwar den unsensiblen Gemahl Amnon sehr folgerichtig von sich stößt, die gewonnene Freiheit für sich und ihren Buben Gil’ad aber als emotionales Verlustgeschäft aufzufassen lernt.

Shalev presst die je wechselnden Empfindungen Ellas in eine atemlose Folge von Satzgefügen, die die verhaltensunsichere Seele als Theaterbühne vorführen. Das Stakkato der Selbstregistratur erzeugt ein Gewimmel von Regungen, in dem die jeweils letzte die Oberhand behält. Ella, die ihr Trauma mit dem Auszug des Volkes Israel aus Ägypten vergleicht - natürlich eine absichtsvoll ambivalente Deutung - dockt am Gehäuse einer neuen, ebenso "zerstörten" Familie an, um das Konzept der begrenzten Lebensabschnittspartnerschaft mit den Ewigkeitsfloskeln vom "Glück" zielsicher zu konfrontieren.

Das alles atmet den Duft einer großen Konventionalität, auch wenn abschnittsweise "poetische" Passagen dominieren ("Der Stempel der neuen Liebe ziert meinen Körper wie ein Schmuckstück ..."). Verwunderlich erscheint, dass die Israelis in Shalevs Welt allen Arbeitssorgen in einer schwierigen Tätigkeitswelt enthoben scheinen. Und die Schrecken einer unbefriedeten Konfliktzone tönen herüber wie ferner, ungreifbarer Lärm. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8./9.10.2005)