Klingt verlockend: Essen mit gesundheitsfördernder Wirkung ohne lästiges Pillenschlucken. So sollen etwa Bakterien im Joghurt die Abwehrkräfte steigern oder künstlich angereicherte Haferflocken cholesterinsenkend wirken. In den USA hat diese Form "gesundheitsfördernder" Lebensmittel bereits seit Jahren Tradition. So gibt es dort kaum mehr Milchprodukte, denen nicht Fett entzogen und Kalzium zugesetzt ist. Doch auch in Österreich machen sich Firmen das stark gestiegene Interesse an gesunder Ernährung zunutze. Schließlich sind die Ausgaben der Österreicher für Vitamine, Mineralstoffe und sonstige Nahrungszusatzstoffe allein 1999 um 21 Prozent gewachsen. Kein anderer Bereich am Markt der frei käuflichen Medikamente verzeichnete einen derartig großen Zuwachs, meldet die Interessengemeinschaft österreichischer Heilmittelhersteller Igepha. Der Zukunftstrend ist allerdings, die Zusatzstoffe gleich direkt in Lebensmittel einzuschleusen. Der "Life Science"-Konzern Novartis etwa hat im Februar unter der Bezeichnung "Aviva" entsprechende Produkte auf den heimischen Markt gebracht. Knochen, Herz und Verdauung sollen mithilfe von Mineral- und Ballaststoffen auf Vordermann gebracht werden. Penetrantes Fischöl Die Welser Firma Inovia wiederum arbeitet in einem (sogar vom Forschungsförderungsfonds geförderten) Projekt an der Anreicherung von Lebensmitteln mit essenziellen Fettsäuren. Das Schwierigste daran scheint zu sein, so penetrant gesunde Sachen wie Fischöl nicht nach Lebertran schmecken zu lassen. Die Inhaltsstoffe werden in Mikrokapseln verpackt, um möglichst geschmacksneutral beigefügt werden zu können. Auch der Hustenzuckerlmarkt hat mittlerweile nicht nur biederes Vitamin C zu bieten. So ist rechtzeitig zur Schnupfensaison im letzten Herbst ein neues "Wick Vital" auf den heimischen Markt gelangt, mit dem der tägliche Zink-Bedarf gedeckt werden kann. Und das ganz ohne scheußlichen Zink-Geschmack. Wer lutscht, stärkt Immunsystem und Wundheilung und kann Stress besser verarbeiten, suggerieren die Werber. Doch darüber scheiden sich die Geister. Ernährungsexperte Kurt Widhalm kritisiert, dass Firmen derzeit ziemlich große Freiheiten haben, allerlei Unbewiesenes über die Wirkung ihrer Produkte zu verbreiten. Der Universitätsprofessor an der Wiener Universitätskinderklinik hegt auch große Zweifel daran, dass es den Österreichern tatsächlich an Vitaminen oder Mineralstoffen mangelt. Wissenschaftliche Studien darüber fehlen aber. Und welches "Functional Food" ist überhaupt empfehlenswert? Joghurt mit veränderten und reduzierten Fettsäuren kann er beispielsweise durchaus etwas abgewinnen. Auch von Sojaprotein in Lebensmitteln hält der Professor einiges. Studien zufolge schützt es vor Brust- und Prostatakrebs sowie vor Arteriosklerose. "Das Sojaprotein kann man im Prinzip überall reintun - auch in Frankfurter oder Nudeln", sagt Widhalm. Folsäure - wie sie in manchen Frühstücksprodukten enthalten ist - beugt ebenfalls der gefürchteten Gefäßverkalkung vor. Keine Beweise gebe es hingegen dafür, dass zusätzliche Kalziumzufuhr Osteoporose (Knochenbrüchigkeit) vorbeugt. Bei manchen Nahrungszusätzen kann es sogar unerwünschte Nebenwirkungen geben - etwa wenn beigefügtes Lachsöl den Cholesterinspiegel erhöht oder das Zink eine überraschende Wechselwirkung mit einem eingenommen Medikament erzeugt. Schädliche Mengen Auch die Frage der richtigen Dosierung bleibt für Konsumenten meist unbeantwortet. Eine sehr hohe Dosis an Vitamin A kann sich beispielsweise bei einer Schwangeren schädigend auf das ungeborene Kind auswirken. Gefahren der Überdosierung schätzt Widhalm bei Vitaminen ansonsten relativ gering ein. Ähnliche Ansichten vertritt die Wiener Ernährungswissenschafterin Veronika Macek-Strokosch. Milchprodukte, besonders Sauermilchprodukte, eigneten sich "besonders glaubwürdig für die Veredelung zum funktionellen Lebensmittel", sagt sie. Allerdings: Da diese Lebensmittel an sich schon gesund seien und beinahe täglich auf dem Speiseplan stehen, "ist es fraglich, ob pro- oder prebiotische Milchprodukte gesünder und daher empfehlenswerter sind, als die herkömmlichen Produkte". Erwiesen sei bisher nur, dass angereicherte Milchprodukte dann sinnvoll sind, wenn die Darmflora durch medizinische Therapien, etwa mit Antibiotika, oder Infektionen gestört ist. Aber auch der Konsum von ACE-Getränken sei aus ernährungsphysiologischer Sicht "nicht hundertprozentig zu befürworten". In zu großen Mengen genossen, könne nämlich die empfohlene Höchstmenge von Antioxidantien (Substanzen, die gegen zellschädigende freie Radikale schützen sollen) überschritten werden. Prinzipiell gilt: Wer glaubt, mit einem einzigen cholesterinsenkenden Softriegel pro Tag alle Gesundheitsprobleme lösen zu können, ohne andere Lebensumstände zu ändern, der irrt leider gewaltig. Stinklangweiliger, aber wirksamer Rat von Widhalm: Bewegung, nicht rauchen, Gemüse essen. Funktionelle Babybreie Der letzte Schrei bei "Functional Food" ist übrigens probiotische Säuglingsnahrung. "Ich empfehle es nicht", sagt Widhalm. Es gebe keine Belege über Wirkung oder Schaden - anscheinend ein Grundproblem in diesem Bereich. Österreich hat nicht einmal einen Lehrstuhl für Ernährungsmedizin. Die EU will demnächst zum heißen Thema Nahrungsergänzungsmittel und angereicherte Lebensmittel zwei Richtlinien herausgeben. Ein bereits veröffentlichtes Weißpapier für Nahrungsmittelsicherheit stellt bereits jetzt klar, dass weder bei Kennzeichnung noch bei der Bewerbung von Lebensmitteln eine Behandlung oder Heilung von Krankheit versprochen werden darf. Probiotisch, fettsauer und malatisch Functional Foods sind Nahrungsmittel, denen bei der Herstellung natürliche oder synthetische Substanzen zugesetzt werden, die die Gesundheit fördern sollen. Nahrungsergänzungsmittel in Form von Pillen oder Pulverln, wie die damaligen Klassiker Melatonin oder NADH, zählen nicht dazu. Die derzeitigen Renner unter den Functional Foods:
  • Probiotische Milchprodukte sollen aufgrund spezieller Milchsäurebakterien die Darmtätigkeit anregen, positiv auf Darmflora und Immunsystem wirken;
  • Prebiotische Molkeprodukte und Müsliriegel sollen mit ausgewählten Ballaststoffen vorteilhafte Bakrerien im Darm fördern;
  • Folsäure in Frühstücksflocken für (schwangere) Frauen, da ein Folsäuremangel (kommt in Österreich kaum vor) in der Schwangerschaft zu Fehlbildungen des Embryos führen kann;
  • ACE-Getränke, die angereichert sind mit dem Vitamin A (für Wachstum bei Kindern, Sehvermögen und Aufbau von Haut und Schleimhäuten), dem Vitamin C (Funktion von Bindegewebe und Knochen, Schutz der Zellen vor schädlichen freien Radikalen und Erhalt der körpereigenen Abwehrkräfte) und dem Vitamin E (Schutz von roten Blutkörperchen, Muskulatur und anderen Geweben sowie vor freien Radikalen);
  • Wellness-Drinks, die neben Vitaminen und Omega-3-Fettsäuren auch Alkohol enthalten. Sie sollen für mehr Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden gut sein;
  • Calcium-Citrat-Malat- Säfte, die bei Kindern vor der Pubertät und bei Frauen nach der Menopause Knochenwachstum und Knochendichte erhöhen sollen;
  • O Brot mit Omega-3-Fettsäuren, das den Cholesterinspiegel senken und die Fließeigenschaften des Blutes verbessern soll.

    Ein Problem haben fast alle diese Functional Foods: Eine positive Wirkung lässt sich derzeit nur aus Tierversuchen oder aus der isolierten Substanz ableiten. Unabhängige Studien an Menschen fehlen meist.

    Nichtsdestotrotz basteln einige Konzerne bereits an einer neuen Version funktioneller Nahrungsmittel: "Bioaktive Lebensmittel" zur Förderung der Gesundheit kommen wahrscheinlich noch vor 2010 auf den Markt: Die Forscher versuchen Gemüse wie Broccoli, Getreide oder Soja mit neuen Genen aufzurüsten. Diese sollen dann die Entstehung von Krebs hemmen, Cholesterin senken oder Knochenschwund verhindern.

    Der Markt für funktionelle Ernährung gilt als absoluter Wachstumsmarkt mit einem weltweiten Potenzial von 2,9 Billionen Schilling. Marktforscher vermuten, dass Functional Food in Österreich mit einem Umsatz von 30 Milliarden Schilling einen Marktanteil von rund 20 Prozent des Gesamtmarktes erreichen wird.

    Martina Salomon und Andreas Feiertag für Der Standard