Wien - "Kürzlich sagte mir ein hochrangiger Gesundheitspolitiker: 'Gott sei Dank brauchen wir in Österreich keine Gesundheitsökonomie, wir müssen ja noch nicht rationieren'", wundert sich Brigitte Abbühl, die Gründerin der hochkarätig besetzten Wiener "Plattform Gesundheitsökonomie". "Dabei ginge es doch genau darum, mittels gesundheitsökonomischer Expertise gravierende Leistungseinschränkungen zu verhindern." Zukunftsperspektiven Wie sich das österreichische Gesundheitssystem künftig entwickeln soll, ob die ständig steigenden Gesundheitsausgaben wie bisher einfach mittels Erhöhung der Versicherungsbeiträge finanziert oder aber auf Rationierungen nach englischem Vorbild oder Rationalisierung, also auf ein Optimierung der Finanzierung und der Ressourcen gesetzt werden soll, das beschäftigt seit der Installierung der schwarz-blauen Regierungskoalition nicht nur die Fachwelt. Zahlen Geht es nach der Einschätzung von Gesundheitsökonomen, so sind weitere Erhöhungen der Kassenbeiträge nur eine Frage der Zeit - trotz gegenteiliger Zusagen von Gesundheitsstaatssekretär Gerhart Waneck (FPÖ). Die Entwicklung der öffentlichen Gesundheitsausgaben zwischen 1985 und 1997 von 69,64 Milliarden Schilling auf 151,56 Milliarden wird sich, sofern die gesundheitspolitischen Weichen nicht anders gestellt werden, künftig weiter fortsetzen. Die Leistungen der High-tech-Medizin werden immer teurer, allein die Kosten für von den Krankenkassen bezahlten Medikamente stiegen seit 1994 um 60 Prozent auf 21,3 Milliarden Schilling pro Jahr. Und die Zahl der betreuungsbedürftigen Personen wird nach einer Aufstellung des Gesundheits-Staatssekretariats von derzeit rund 500.000 bis zum Jahr 2030 auf 800.000 ansteigen. Welchen Anteil die derzeit rund zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) betragenden Gesundheitsausgaben dann haben werden, lässt sich nicht abschätzen. "Das bestehende Sozialversicherungssystem ist auf die Dauer schlecht haltbar", meint Christian Köck, in Deutschland und den USA lehrender Gesundheitsökonom und Vorsitzender des Liberalen Forums, "weil es einnahmenseitig agiert". So wurden routinemäßig die Kassenbeiträge immer dann erhöht, wenn das Gesundheitssystem mehr Geld brauchte. Sinnvoll eingesetzt, so rechnen Gesundheitsökonomen vor, werde dieses Geld allerdings nur zum Teil. "Wir wissen aus Untersuchungen, dass je nach medizinischem Fachbereich zwischen 15 und 50 Prozent der erbrachten Leistungen für die Patienten keinen Nutzen bringen", sagt Köck. "Das gilt zum Beispiel für sinnlose Doppeluntersuchungen, unnötige Operationen und unnötige Krankenhausaufenthalte. Die Österreicher verbringen im Schnitt drei Mal so viele Tage im Spital wie die Schweden und doppelt so viele wie die Holländer. Da ist bei uns sehr viel Speck drin." Ein Ursache davon, so die Analysen der Gesundheitsökonomen, liege in den nach dem zweiten Weltkrieg gewachsenen Finanzierungsstrukturen des österreichischen Gesundheitssystems. Seine Leistungen werden aus verschiedenen Töpfen finanziert, die von den großen Players - Bund, Länder und Gemeinden auf der einen Seite, die Krankenkassen auf der anderen - verwaltet werden. "Das österreichische Gesundheitssystem ist sehr komplex", sagt Werner Clement vom industriewissenschaftlichen Institut der Wiener Wirtschaftsuniversität, "wobei die Träger nicht unbedingt identisch mit den Finanziers sind." Anders gesagt: Wer entscheidet, ist nicht immer der, der zahlt. Es gäbe, so Clement, auch keine klare Übersicht über die Finanzströme. Kostspieliges System Dazu kommt, dass verschieden Maßnahmen, die für den einzelnen Player betriebswirtschaftlich durchaus sinnvoll sind, das System insgesamt teuer zu stehen kommt. Weil zum Beispiel die Sozialversicherungen in die Spitäler nur einen fixen Betrag einzahlen, die "extramural" erbrachten Leistungen der niedergelassenen Ärzte jedoch zur Gänze übernehmen müssen, haben sie wenig Interesse daran, Patienten aus den Ambulatorien der Spitäler in die Arztpraxen umzuleiten. Obwohl nach den Berechnungen des Gesundheits-Staatssekretariats eine Behandlung in einer Ambulanz im Durchschnitt 2212 Schilling kostet - Spitzenreiter ist Wien mit 3329 Schilling - und beim niedergelassenen Bereich bloß 500 bis 650 Schilling. Folglich lehnt dann auch Franz Bittner, Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse, das Konzept einer Ambulanzgebühr für Patienten ab: Sie führe dazu, dass der Patient wieder zum niedergelassenen Arzt gehe, was mehr Kosten für die Krankenkassen bedeute. "Die derzeitige Aufteilung in der Finanzierung des österreichischen Gesundheitssystems ist nicht die sinnvollste", räumt auch Bittner ein. Eine Alternative wäre es, die Sozialversicherungen das gesamte System finanzieren zu lassen. Oberösterreichs Gesundheitslandesrat Josef Ackerl (SPÖ) sieht das naturgemäß anders: "Eine Alternative zum derzeitigen System wäre es, die Finanzierung zur Gänze dem Staat zu überlassen und das System aus Steuermitteln zu finanzieren." Die politischen Institutionen, meint Köck, seien nun einmal so dominant, "dass eine andere Logik nicht zum Zug kommt. Es werden nur bestehende Interessen perpetuiert." (rbe/kk)