Morrissey auf der Couch. Um den britischen Star wird in Los Angeles in der Hispano-Kultur ein bizarrer Kult betrieben.

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Dass ein Dokumentarfilm über Pop bis zum Abspann ohne Musik auskommt, mag ja eine hübsche Idee sein. Möglicherweise aber waren die Songrechte für das abschließende Smiths-Stück "This Charming Man" auch bloß mindestens genauso teuer wie die restliche Produktion dieses sympathisch amateurhaften Videofilms. Immerhin erschließt sich in William E. Jones' Doku "Is It Really So Strange?" die Faszination großteils hispanischer Jugendlicher in Los Angeles für den britischen Pop-Tragöden Morrissey, abgesehen von Postern, Plattencovers und anderen Devotionalien so über dessen vollständige Abwesenheit.

In langen Interview-Sequenzen ergründet Jones nicht nur ein Ende der 90er-Jahre in den hispanisch dominierten Außenbezirken von L.A. aufgetretenes bizarres Subkulturphänomen. Damals widerfuhr dem bis 1984 mit den Smiths und später solo erfolgreichen Sänger Morrissey aus dem nordenglischen Manchester eine bizarre Ehre.

Der düstere und zynische Melancholiker der weißen britischen Arbeiterklasse wurde von kleinen, eingeschworenen Fanzirkeln ausgerechnet aus Mexiko und Südamerika stammender Chicanos kultisch verehrt. Er wurde während Klubveranstaltungen unter anderem auch von der Smiths-Coverband 'Sweet And Tender Hooligans' aus vollem Herzen abgefeiert.

All das geschah nicht nur zu einem Zeitpunkt, während dem sich Morrissey gerade in einer siebenjährigen Kreativpause, also vor seinem nicht mehr erwarteten Vorjahres-Comeback mit "You Are The Quarry" im absoluten Karriere-Out befand.

Dass hier jemand als Idol herhalten musste, der mit seiner eindeutig weiß kodierten Musik und seiner in der Hispanokultur mehr als problematischen Rolle als sexuell zumindest ambivalenter Künstler derartiges Kultpotenzial besitzt, erschließt sich zum einen während der Interviews, in Morrisseys von seinen Fans unterstellter eigener Entfremdung in seinem Kulturkreis.

Die hispanischen Jugendlichen betonen die Parallelen von Morrissey als katholischem Iren im protestantischen Großbritannien zu ihrer Situation in den USA. Stichwort: "Alienation". Zumal ja Morrissey sozusagen als Gottesgeschenk für seine hispanischen Hermeneutiker, angewidert von der ihn ab Mitte der 90er-Jahre wegen problematischer "nationalistischer" Aussagen vernichtenden britischen Presse auch noch nach Los Angeles in eine Hollywood-Villa übersiedelte, in der er fortan in stillem Leid seine Wunden leckte.

Wichtig scheint in diesem Zusammenhang auch Morrisseys mögliche Position als zwar nicht deklarierter, aber offensichtlicher Homosexueller zu sein, der hier den männlichen hispanischen Fans als Identifikationsfigur dient. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.10.2005)