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Solche Straßenszenen kann man in Ho Chi Minh City noch entdecken - aber nicht mehr lange. Immer stärker wird das Stadtbild von motorisierten Gefährten.

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Natürlich hinkt alles, was ein Vergleich ist. Und außerdem lassen sich Länder nicht miteinander vergleichen. Und trotzdem. Trotzdem drängt sich der Vergleich auf: Schließlich feiern Vietnam und Österreich im Jahr 2005 durchaus verwandte Anlässe: Kriegsende und Befreiung nämlich. Und auch wenn historische, politische und geografische Rahmenbedingungen und nationale Vorgeschichten denkbar unterschiedlich sind, ist da doch eine Gemeinsamkeit. Eher spür- denn festmachbar: Denn offiziell und ins Gesicht sagt einem weder in Österreich noch in Vietnam jemand, dass die offiziellen Veranstaltungen, Feierlichkeiten und Erinnerungsmaßnahmen den meisten Leuten völlig egal sind. Weil sich das halt nicht gehört. Gerade dann, wenn man in einem Land lebt, das seine nationale Identität maßgeblich aus den hier gefeierten Jubiläen zieht.

Es war im April 1975, als Panzer der nordvietnamesischen Armee die Gittertore zum - wie er damals hieß - "Präsidentenpalast" in (wie es damals hieß) Saigon so kameragerecht platt walzten, dass die tatsächlich authentischen Bilder von damals heute ziemlich gestellt wirken, und wenige Minuten später die Fahne des Vietkong vom Balkon des Gebäudes wehte: Der Vietnamkrieg (ausgebrochen zwischen der einstigen Kolonialmacht Frankreich und kommunistischen Rebellen, fortgeführt von den USA und beendet zwischen Nord- und Südvietnamesen) war also vorbei - aber die Erinnerung daran wird in Saigon (das nach dem 30. April 1975 umgehend in Ho Chi Minh City umgetauft wurde) längst nicht nur aus restkommunistisch-patriotischen Gründen an jeder Ecke am Leben erhalten.

Vietnam im Allgemeinen - die (offiziell) Viereinhalb-Millionen-Menschen-Metropole Saigon (inoffiziell: bis zu sieben Mio. Einwohner) im Besonderen - sind längst hippe Ziele des gehobenen Rucksacktourismus geworden. Weil jedes Land von seinen Klischees lebt, verklopft jeder Straßen- und T-Shirt-Händler garantiert echte Reminiszenzen und Relikte - und die tatsächlich echten Erinnerungszonen werden bestens in Stand gehalten. Nicht nur die feudalen und dekadenten Prunkräume der bösen kapitalistischen Herrscher im Palast und das Labyrinth unterirdischer Karten- und Kommunikationsräume: Auf dem Dach des (heutigen) "Wiedervereinigungspalastes" markieren rote, mehrsprachig beschriftete Kreise die Stellen, an denen heldenhafte Bombenschützen die feige Flucht der kapitalistischen Günstlinge der Imperialisten - durch Bombenabwurf - verhinderten. Und so weiter.

Wenn man da nicht wirklich aufpasst, verrennt man sich in und um Ho Chi Minh City dermaßen zwischen Kriegsglorie und Heldengedenken, dass von der pulsierenden, faszinierenden Stadt Saigon sonst nichts übrig bleibt. Denn natürlich ist da mehr: Die Kathedrale etwa: "Notre Dame" heißt sie - und ist eines der wenigen auf den ersten Blick als aus der französischen Kolonialzeit stammend zu identifizierenden Gebäude: Sogar die Steine des neoromanischen Baus aus 1877 kamen aus Frankreich. Und es war weniger der Krieg als der ultrapragmatische Umgang mit den Faktoren "Platz" und "Bausubstanz" in (asiatischen) Städten mit ihrem enormem Besiedelungsdruck auf das Zentrum, der dazu geführt hat, dass man in Saigon sonst sehr genau hinschauen muss.

Dann erkennt man hinter wild verbauten Fassaden und in den großen, zur Straße geöffneten Lokalen an den Ecken der breiten Boulevards tatsächlich die Handschrift von Architekten und Bauherren, die in der tropischen Schwüle vom kontinentalen Klima und den Cafés von Paris träumten. Aber Europa ist sowieso anderswo - und klammert sich immer noch an veraltete Asia-Klischees. Davon erzählt auch das für asiatische Boomstädte typische, ebenso ununterbrochene wie praktisch aggressionsfreie Verkehrschaos auf den Straßen: Saigon ist längst eine Mopedstadt - das hin und wieder verloren zwischen den Scootern dahinzuckelnde Fahrrad wirkt da fast wie ein ironisches Zitat einer Zeit, die einmal war.

Denn auch wenn an den chinesischen Medizinständen in den großen Markthallen oder in den chinesischen Vierteln die Frage, wozu gestoßene Hirschgeweihe, getrocknete Schlangenhäute oder geriebener Eberhoden denn gut seien, immer noch keineswegs geschlechtsneutral ("für die Manneskraft" respektive "für den Rücken", heißt es je nach dem Geschlecht der Zuhörerschaft) beantwortet wird, wachsen gleich nebenan die gläsernen Büro-und Einkaufsstempel aus dem Boden. Imbisshändler, die ihre heißen Speisen in Straßensuppenständen oder in Körben "chinesisch" an langen, quer über die Schulter getragenen Stangen feilbieten, verteilen Flyer für Rock- und Metalclubs mit lustigen vietnamesischen Bands, die hemmungslos alles covern, was aus MTV heraussprudelt.

Und während unter dem megalomanischen Porträt von Ho Chi Minh in der alten Hauptpost - gleich neben der Kathedrale - immer noch Schreiber dem Diktat von Analphabeten lauschen (und Leimtöpfe bereitstehen, die Briefe zu versiegeln), können die affirmativen Bilder vom Klischee gleich nebenan in Webcafés in den Westen gemailt werden.

Dass der "Westler" sich seine Klischees nicht rauben lassen will, braucht man da gar nicht erklärt zu bekommen: Die Trampelpfade führen fast automatisch dorthin, wo sich das "Platoon"-Feeling so richtig leben lässt: In Cuchi - nordwestlich der Stadt - war man so höflich, ein paar der unterirdischen Kriechgänge, in denen der Vietkong ganze Landstriche (inklusive US-Forts) im Wortsinn unterwanderte, auf "europäisches" Gebücktgehformat zu erweitern - und am Ende der Tour darf jeder, der will, mit einer Kalaschnikow schießen. Ein Dollar pro Schuss - der Sicherungshebel steht auf "Feuerstoß".

Dabei lässt sich gerade der Fluss aus "Apocalypse Now" ohne Kanonenboot-touch viel feiner erleben: Der Mekong - je nach Jahres- und Tageszeit und Wetterlage der gelbe, graue oder rote Fluss - ist Vietnams Aorta. Er zieht an Saigon vorbei - und dort, wo er ein paar Autostunden weiter südlich ins Südchinesische Meer mündet, in der Region der quirligen Universitätsstadt Cantho, findet das ganz normale Leben vor allem auf dem Wasser statt.

Canthos schwimmender Markt liegt wie eine Pontonstadt mitten im Fluss - was es gibt, wird auf hohen Stangen der bis an die Dollborde im Wasser liegenden, schwerfälligen Lastkähne gehisst: Melonen, Zuckerrohr, Tiere, Hausrat; die Käufer gehen auf kleinen Booten längsseits, so wie die "Minibar"-Boote, die - beladen mit Getränken, Snacks und auf kleinen mobilen Holzkohlefeuerstellen frisch zubereiteten Speisen - zwischen den Lastkähnen hin und herfahren.

Bis das Leben dann - weiter flussabwärts - wieder an Land geht. Zumindest halbwegs. Denn die Inseln im Delta sind von einem engen, unübersichtlichen System von Fahr- und Bewässerungskanälen durchzogen. Und hinter den lehmigen, von Mangroven und anderen Wasserständlern am Abrutschen gehinderten Deichen liegen nicht nur kleine Manufakturen von Kunsthandwerk (Seidenschals) und Süßigkeiten, sondern auch kleine und größere Obstgärten und -plantagen: allerlei Bananen und Melonen, aber auch Orchideen und rätselhafte Zitrusfrüchte.

Dazwischen tauchen immer wieder feudale, nicht ganz zufällig an Fin-de-Siècle-Villen der Côte d'Azur erinnernde Herrenhäuser der französischen Epoche auf: Vögel zwitschern, das Dröhnen der Bootsmotoren erstickt im Blättermeer zu einem leisen, einschläfernden Tuckern - und sogar die Moskitos tun so, als wären sie hier weniger in Eile als im turbogetriebenen noch-kommunistischen Aufholrennen mit Blick nach Westen: ein Idyll also.

Und passend dazu steht ein alter Mann mit einem Rechen am Kanalufer und winkt herüber. Zwischen Ellenbogen und Handgelenk macht jeder seiner Arme mindestens zwei scharfe 45-Grad-Knicke. "Das war der Vietkong", erklärt der Bootsführer - und verbessert sich, als er sich daran erinnert, hier keine Amerikaner spazieren zu fahren, "oder GIs - heute ist das egal. Das ist gut so."

Anreise:
Eva-Air fliegt fünmal pro Woche von Wien nach Bangkok. Bangkok-Saigon wird unter anderen von Thai Airways oder Vietnam Airlines bedient.
Flüge nach Saigon gibt es ab 783 Euro (exklusive Taxen).
Unterkunft:
Hotels und Gästehäuser gibt es im Zentrum von Saigon seit Mitte der 90er-Jahre in allen Preis- und Ausstattungskategorien. Im gehobenen Bereich ist das in den letzten Jahren renovierte "Hotel Majestic" mit Blick auf den Saigon-River erwähnenswert. Westliche Rucksacktouristen landen meist im "Backpackerghetto" des Pham-Ngu-Lao-Viertels.
Beratung:
www.eastlink.at
(Der Standard/rondo/21/10/2005)