The Fall

Foto: Sanctuary

The Fall
Fall Heads Roll
(Sanctuary)
Erhältlich in den Wiener Plattenläden Rave Up, Substance, Ton um Ton und Recordbag

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The Fall
The Complete Peel Sessions
(Sanctuary)
Erhältlich in den Wiener Plattenläden Rave Up, Substance, Ton um Ton und Recordbag

Foto: Sanctuary
"If I drop dead tomorrow, I'll have nothing to complain about - except that there'll be another Fall album out next year."

Der Mann, von dem diese Worte stammen, hieß John Peel und ist im Oktober 2004 tatsächlich unerwartet und viel zu früh gestorben. Peel war der wichtigste Radio-DJ Großbritanniens. Eine Legende zu Lebzeiten, die das Hörverhalten ganzer Generationen nachhaltig beeinflusst hat und unzählige Bands erstmals in seinen BBC-Sendungen spielte. Manche davon wurden Stars, viele nicht. Peel galt als größter Fan und Förderer der aus Manchester stammenden Band The Fall.

The Fall, das Bandvehikel um sein einziges Fixmitglied Sänger Mark E. Smith, macht, wie vorausgesehen, auch im Jahr eins nach Peel weiter. So wie in den 28 Jahren davor. Wie viele Alben diese dem Geist des Punk bis ins Mark (sic!) verpflichtete Band mittlerweile veröffentlicht hat, weiß nicht einmal der Chef persönlich. Darauf angesprochen, antwortete er einst mit "I'm only interested in the next." Heuer sind zwei Werke von The Fall in die Plattenläden gekommen. Einmal die noch mit Peel gemeinsam begonnene Zusammenstellung von The Fall - The Complete Peel Sessions. Ein Ziegel, der auf sechs CDs die insgesamt 24 Sessions beinhaltet, die Smith und Peel zwischen 1978 und 2004 eingespielt haben. Zum anderen das nun eben erschienene Album Fall Heads Roll. Beides sind Dokumente solipsistischer Besessenheit. Chronologisch lässt sich die Ausnahmeposition dieser Band an den Peel-Sessions ablesen: Ohne Zugeständnisse an Moden und Trends schuf hier jemand ein vergleichsloses Gesamtwerk.

"They are always different, they are always the same", ...

beschreibt Peel The Fall im Booklet zum Boxset treffend. Zu dieser Einschätzung führen mehrere Umstände. Einmal Smiths Gesang: ein nörgelnder Sprechgesang, dem das misanthropische Wesen seines Herrn jeder einzelnen gottverdammten Silbe anzumerken ist - selbst jenen, die er verschluckt. Die Musik: Sie ist hart und schnörkellos und verbietet sich bis auf einige aufheiternde Keyboardspielereien jeglichen Zierrat. Dass The Fall in ihrem umfassenden Gesamtwerk dann auch vergleichsweise sanfte Songs haben wie etwa das hier stellvertretend genannte Paintwork vom 1985er-Meisterwerk This Nation's Saving Grace - auch Mark E. braucht einmal eine Rauchpause. An ihrer prinzipiellen Machart ändert das nichts. Bis heute sind das repetitive Gitarrenriffs, die auf die Überzeugungskraft monotoner Wiederholung bauen und durch kleine Modifikationen ungeheure Sogwirkung erzeugen. Bestes Beispiel dafür: Das in der letzten Peel-Session eingespielte Stück Blindness, das sich in seiner dritten, auf CD festgehaltenen Inkarnation nun auch auf Fall Heads Roll wiederfindet - in der Kartonausgabe fälschlicherweise als Clasp Hands betitelt.

"Blindness" ist ein Brocken, ...

der exemplarisch für die Attraktivität von The Fall in den letzten Jahren steht. Denn die aktuelle Bandbesetzung ist die wahrscheinlich beste seit Bestehen. Auch das ist eine Besonderheit. Zumal The Fall seit den 80ern als Durchhaus gilt, in dem es unter der rigiden Führung des launischen und alkoholkranken Smith viele Mitspieler kein zweites Album oder keine ganze Tour lang aushielten. Legendär ist ein Bandkollaps live on stage: Im April 1998 lieferte sich Smith während eines Konzerts in New York mit Bass-Spieler Steve Hanley einen Faustkampf, der Smith nicht nur die Innenarchitektur amerikanischer Gefängnisse kennen lernen ließ, sondern auch den Zerfall der damaligen Formation nach sich zog. Aber The Fall ist keine Freak-Show. Nach einer Reihe von exzellenten Alben ab den mittleren 80ern verbuchte sie mit dem 1993-Album The Infotainment Scan sogar einen Eintrag unter die Top Ten der britischen Album-Charts. Davor veröffentlichte Smith bei einem Major-Label zwei Alben, andere erschienen wiederum bei diversen Kleinstverlagen. Zurzeit ist die Band um den wegen seiner gewaltigen Tränensäcke als Mutter von E.T. bezeichneten 48-jährigen Sänger in Weltform. Ohne besonders überraschend zu klingen, überzeugt sie mit einer unerhörten Bissigkeit und beständig hochkonzentriertem Spiel. Egal, ob die halbe Formation in dem lockeren Eröffnungstitel Ride Away Pause macht oder ob sie bis zum Anschlag hochfährt. Auch das Talent zum Pop, das Smith immer wieder bewiesen hat - vom heimlichen Dancefloor-Hit Hit The North bis zu Alben wie Extricate oder Shiftwork - blitzt in Stücken wie dem beinahe fröhlich klingenden Pacifying Joint auf.

Angesichts der Klasse dieses Albums, das Peel nicht mehr erlebt hat, könnte man melancholisch werden. Mark Edward Smith war trotz tiefer Trauer nicht bei Peels Begräbnis: "The reason I did not go to John's funeral is because I did not even know him. Of course, I'd seen him when we went down to record the sessions, say hello, but I never went round to his house unlike fucking PJ Harvey and all of them.". (Karl Fluch, DER STANDARD, rondo, Printausgabe vom 21.10.2005)