Foto: Viennale

Die Welt ist aus den Fugen, der Himmel droht einzustürzen: Gleich zu Beginn des Films trudelt ein helles Kreisrund auf das Publikum zu, so als würde der Mond direkt auf die Erde herabfallen. Was sich als glühender Punkt aus dem Schwarz der Leinwand schält, entpuppt sich jedoch bald als Ausgang eines Eisenbahntunnels, aus dem heraus die Kamera ins tropische Licht des Tages rast – hinein ins Indonesien der Gegenwart.

"Stand van de Maan" ist der zweite Teil einer Doku-Trilogie über Indonesien, die der niederländische Regisseur Leonard Retel Helmrich 2001 mit "Stand van de Zon" begonnen hatte. Stand damals noch die Aufbruchstimmung nach dem Fall des autoritären Präsidenten Suharto im Zentrum, so steht das Land 2004 im Zeichen des Mondes: als Symbol naturmystischer Regenerationsfähigkeit wie als Zeichen der größten Religionsgemeinschaft des Landes, des Islam.

"Mit der Sichel wird er abgehackt – und regeneriert sich im Ablauf eines Monats wieder von selbst". So beschreibt die 11-jährige Tari ihrem Vater Bakti die metaphorische Bedeutung des Himmelskörpers. Demgegenüber steht die Moschee mit ihren Insignien von Halbmond und Stern – Orientierungspunkte in einer soziopolitischen Gegenwart, die der Film als widersprüchlich vermittelt, als ein Durcheinander von Sinneseindrücken und Anschauungen, die kein weltanschauliches Zentrum mehr zu ordnen vermag.

"Überforderung" ist die vorherrschende Befindlichkeit: Die Familienbande im Zentrum des Films werden zwischen den Polen eines synkretistischen Christentums und eines islamistischen Radikalismus überstrapaziert, die Zukunft erscheint in der Stadt wie am Lande perspektivlos. In welche Richtung soll es weitergehen? Helmrichs Film gibt keine Antworten darauf, sondern intensiviert die Erfahrung der Orientierungslosigkeit mit den Mitteln des Kinos.

Die Kamera schwelgt geradezu in Sinneseindrücken, rast durch Tunnels, tänzelt schwindelfrei über Eisenbahnbrücken und zoomt durch die Flammen eines nächtlichen Brandes. "Stand van de Maan" verbindet, auf durchaus polemische Weise, ethnografisches Dokument und poetische Verdichtung – als die (selbst verarmte) Vermieterin die Couchgarnitur der Familie pfändet, setzt der Film Geckos ins Bild, die sich im Kampf um eine Schabe gegenseitig verschlingen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22./23.10.2005)