Jannis Kounellis benutzt die Fotografie seit den 60er-Jahren, um seine Performances und Installationen aufzuzeichnen, die zumeist in seinem Atelier ohne Publikum stattfanden.

Foto: Albertina
In "Opus 1" thematisiert Kounellis Zeit und Vergänglichkeit seiner Performances und Installationen und die Kontinuität seines Schaffens.


Rom 1966: In dieser Stadt lässt sich Jannis Kounellis, der er das heimatliche Griechenland verlassen hat, 1956 nieder. Er ist gerade 20 Jahre alt und wird bald mit seinen Alphabeten beginnen. 1960 realisiert er im Atelier seine erste Performance, und 1966 beschließt er diese Periode mit der Ausstellung Alphabet. Im selben Jahr beginnt die große Wende in seinem Werk, über die er schon seit geraumer Zeit nachdenkt.

Das ist der Zeitpunkt, an dem diese Grafiksuite - Opus 1 - anfängt. Kounellis beginnt, in Italien und international mit den Künstlern seiner Generation auszustellen, und nimmt schon 1967 an der ersten Arte-Povera-Ausstellung teil, die Germano Celant in der Galerie La Bertesca in Genua organisiert.

Auch Italien formalisiert nun - nach dem Manifest des Nouveau Réalisme, das Pierre Restany 1960 in Paris formuliert hat, und der Gründung der Gruppe ZERO in Düsseldorf 1958 - seinerseits die Ablehnung des Informel, wie zuvor schon anerkannte Künstler wie Burri und Fontana und der junge Manzoni, der 1963 vorzeitig starb.

Während dieses Schlüsseljahres 1966 realisiert Kounellis also in der Stille seines Ateliers Arbeiten, die den weiteren Verlauf seiner künstlerischen Laufbahn definieren werden. Dort versammelt er die ersten Materialelemente, die ihm dazu dienen werden, einen neuen Weg zu entwickeln - für eine Malerei, die die illusorische Oberfläche der Leinwand hinter sich gelassen hat, um den Raum der Welt zu erobern.

Die Reisen

Kounellis wird allerlei Unwettern trotzen müssen. Er macht sich zu einer Reihe von Reisen auf, die in immer kürzeren Abständen aufeinander folgen. Sie führen ihn von Stadt zu Stadt, von Raum zu Raum, über Meere und Kontinente - auf der Suche nach einer Vision und einer Wahrheit, die an jeder Haltestation neu definiert und präzisiert werden.

Aus diesem Grunde beginnen wir Opus I bewusst mit diesem Bild, das Kounellis zeigt, wie er auf dem Achterdeck eines Bootes steht, das den Golf von Neapel durchquert. Es macht deutlich, dass der Künstler mit seinem Werk untrennbar verbunden ist. Er trägt es in sich und bei sich, um es im Schoße des Raumes hervorzubringen, der ihn auf der nächsten Etappe erwartet.

Die Kounellis'sche Reise wird so zum Ariadnefaden, der das gesamte Werk in seiner räumlich-zeitlichen Kontinuität verbindet. Sie wird zum dynamischen Rahmen einer beständigen Meditation in den Höhlen, die den Künstler aufnehmen.

Und am Ende jeder Reise kehrt der Künstler in das Ithaka des Ateliers zurück, schöpft bei den Seinen neue Kraft und bricht wieder auf zu einem neuen Abenteuer, das ihn zum nächsten Anlaufhafen führt. Die Werke Kounellis' definieren sich jetzt durch den Namen der Städte und Orte, in denen sie Gestalt angenommen haben, und durch das Datum ihrer Geburt.

Ihre Materialität entstammt den Fragmenten des Realen, aus denen sie bestehen, und ihre komplexe Singularität lässt es nicht zu, dass man sie auf einen verbalen Titel reduziert. Opus I stellt einen ersten Versuch dar, 47 maßgebliche Stationen des Werkes in einem grafischen Auszug zu versammeln, ohne dabei jedoch Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Sie werden - mit Ausnahme einzelner Abweichungen aufgrund thematischer Schwerpunkte - überwiegend chronologisch vorgestellt. Jedes Bild im vorliegenden Kompendium wurde - so wie die Stationen selbst aus dem Chaos der Umstände entstanden, die sich dem Künstler boten und er sich wählte - aufgrund diverser objektiver Voraussetzungen, aber auch persönlicher Kriterien ausgewählt, wobei der zeitliche Abstand, der erforderlich ist, um ein kohärentes, signifikantes und visuell starkes Ganzes zu schaffen, das für das Werk Kounellis über seine multiplen Entwicklungen hinweg repräsentativ ist, unbestreitbar von Vorteil war. (SPEZIAL, DER STANDARD, Printausgabe, 21.10.2005)