Kronauer sprach sich in ihrer Dankesrede für das Recht auf Künstlichkeit in der Literatur aus. Diese Forderung untermauerte sie mit der Figur des Woyzeck in Georg Büchners (1813-1837) gleichnamigem Drama. Sie führte aus, dass auch Woyzeck, ein Prototyp des "kleinen Mannes", selbst in höchster Not komplexe Gedanken in einer für sein Milieu unpassenden Sprache geäußert habe. Damit habe der Dramatiker durch seine Figur eine wahre Revolution ausgerufen: "Nicht die Erkenntnis, dass, recht unverbindlich, alle Menschen Menschen und irgendwie auch Brüder sind. Vielmehr, dass kein Mensch, ob Überflieger oder nicht, flach ist, simpel ist."
"Reale Sprachlosigkeit"
"Büchners Protagonist wird nicht zurückgescheucht in die Sprachhülsen, in die reale Sprachlosigkeit seiner Klasse", sagte Kronauer. "Geschähe ihm das, würde es seinen Vorgesetzten und einem arrogant geschwätzigen Publikum bequem gemacht." Der Dramatiker habe genau gewusst, "dass Literatur mit ihren Charakteren und Geschichten immer etwas Künstliches, Inszeniertes, vom Leben Inspiriertes und ihm Verpflichtetes, aber nie von ihm Abgeschriebenes ist".
Zugleich wandte sich Kronauer gegen Verkürzungen und Verallgemeinerungen, wie man sie allzu leicht in das oft zitierte Büchner-Wort "Friede den Hütten! Krieg den Palästen!" interpretieren könne. Literatur müsse zwar oft ein "Gegner der Gesellschaft und ihrer zeitgeistlichen Zumutungen" sein, stelle aber stets "den treuesten und streng fordernden Freund des Individuums dar".
"Gewaltiger Effekt"
In seiner Laudatio würdigte der Feuilletonchef der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Patrick Bahners, das Werk der Autorin als "Schatzhöhle". In ihren Texten entstehe ein "gewaltiger Effekt von Dreidimensionalität". "Die Großartigkeit ihres Werkes liegt vor aller Leseraugen", sagte Bahners.
Akademie-Präsident Klaus Reichert äußerte sich während der Feierstunde besorgt über die Folgen einer großen Koalition für die Kulturpolitik. Diese drohe zu einer vernachlässigenswerten Größe zu werden, "die sich beliebig hin und her schieben lässt". Durch die unklare Haltung der designierten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Zukunft des unter Rot-Grün geschaffenen Amts eines Kulturstaatsministers seien geeignete Kandidaten vergrault worden.