Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/EPA/dpa/Jan Woitas

Bild nicht mehr verfügbar.

"Poesie ist keinen Botschaften, überhaupt keinen isolierten Inhalten verpflichtet." - Brigitte Kronauer (64), Trägerin des Büchner- Preises 2005.

Foto: APA/EPA/dpa/Jan Woitas
Die mit 40.000 Euro dotierte Auszeichnung wird am Samstag in Darmstadt verliehen.


Das Eigentümliche der poetischen Sprache lässt sich schwer benennen. Die Schriftstellerin Brigitte Kronauer weiß dies besonders gut. In der neueren deutschen Literatur ist sie die vielleicht wichtigste Vertreterin einer poetischen Schreibweise, und gerade deswegen musste sie, als sie 1997 für Collegium Heleveticum "etwas ruck, zuck in einem leichtsinnigen Augenblick" einen Vortrag unter dem Titel Das Eigentümliche der poetischen Sprache ankündigte, im zweiten Satz gleich eine prinzipielle Einschränkung machen.

Das Poetische ist seine eigene Evidenz, es wird durch Beschreibung und Analyse nicht poetischer. Es lässt sich auch nicht aufklären wie ein Sprachrätsel, das eine Botschaft verbirgt. "Poesie", so Kronauer, "ist keinen Botschaften, überhaupt keinen isolierten Inhalten verpflichtet. Sie stellt vielmehr den Inhalt, sprechend, Satz für Satz erst her. Das Was ist mit dem Wie kongruent. Die prinzipielle Unauflöslichkeit von Form und Inhalt wird von der Poesie nicht verschleiert. Sie ist ihr Lebenselixier."

Wenn Brigitte Kronauer an diesem Samstag in Darmstadt mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wird, dann geht diese bedeutendste deutsche Literaturauszeichnung an eine "poeta docta", an eine gelehrte Dichterin, die in ihren Romanen näher an der Eigentümlichkeit der Poesie ist als mancher deutsche Lyriker.

Grelles Gras

Eines ihrer bekanntesten Bücher beginnt so: "Da, damals die kleine alte Frau im grellen Gras: Was für Knöchelchen!" Die da spricht, heißt Rita Münster. Das Buch, das ihren Namen trägt, erschien 1983. Rita Münster lebt einen recht ereignislosen Alltag. Dass sie gelegentlich in einer Buchhandlung arbeitet, charakterisiert ihr Milieu ebenso gut wie die Sorgen ihrer Freundin um den Familienschmuck. Rita Münster ist eine hyperaufmerksame Beobachterin. Dadurch ist sie eine typische Kronauer-Protagonistin, die auch Ich sagen darf.

Ihre Beschreibungen sind bezeichnend für die Wahrnehmungsintensität, für die Brigitte Kronauer nach einer Sprache sucht.

Sie selbst hat den Roman Rita Münster mit dem Bild einer Pyramide beschrieben. Die Icherzählerin "schraubt sich immer steiler in eine ekstatische Weltsicht hoch. Ihr Blick geht am Romanende, das ist die Pyramidenspitze, nach oben, umweglos. In dieser heiklen Position lassen Leser und Autorin sie zurück."

Es ist bezeichnend, dass Kronauer in diesem Moment nicht an die Leser denkt, die ja auch zurückgelassen werden, sondern bei ihrem erfundenen Ich bleibt. Sie schreibt keine Literatur, die es dem Publikum allzu leicht macht. Die Konjunktur des realistischen Erzählens seit den Neunzigerjahren, die mit einer großen Zahl von Übersetzungen aus dem Englischen einherging, hat Brigitte Kronauer zu einer unzeitgemäßen Autorin werden lassen.

Sie hält an ihren untergründigen Verbindungen zur experimentellen Literatur fest. In Vorträgen bekennt sie sich immer wieder zu dem kaum mehr gelesenen Ror Wolf als ihrem liebsten deutschsprachigen Autor.

In ihren Essays kommt sie auf weitere Kronzeugen ihres Verfahrens zu sprechen: auf Joseph Conrad (über den auch Matthias Roth arbeitet, die Hauptfigur in ihrem zentralen Roman Berittener Bogenschütze); auf Hermann Melville; auf Franz Grillparzer, von dem sie das Gedicht Der Halbmond glänzet am Himmel untersuchte; oder auf den Engländer Gerard Manley Hopkins, "der Glanz und Kontur, Klang, Duft und Sprenkelung der Welt, wie nur wenige es vermochten, im Funkeln und in der Sprungkraft der Sprache wiederauferstehen ließ".

Die Außenseiterin

Es ist immer verführerisch nahe liegend, in diesen Sätzen heimliche Selbstaussagen zu finden. Das Bild von der Sprungkraft der Sprache trifft auf Brigitte Kronauers Schreiben auf jeden Fall zu. Sie kann auch deswegen alles in die Sprache legen, weil ihre Biografie über weite Strecken in der Erfolgsgeschichte der BRD aufgehoben ist.

1940 wurde Kronauer in Essen geboren, sie studierte Germanistik und Pädagogik, und arbeitete als Lehrerin. Seit den Siebzigerjahren lebt sie als freie Schriftstellerin in Hamburg. Die deutsche Teilung empfand sie "als eine stocknüchterne Richtigkeit", erst bei einer Fahrt nach Schwerin, in die ehemalige DDR, deutete sich "in Form eines gerührten Geschichtsbewusstseins, doch einmal im Erwachsenenalter bei aller Ambivalenz der Situation so etwas wie ein ehrenwertes Nationalbewusstsein bei mir an".

Der Golfkrieg von 1991 holte die deutsche Schriftstellerin abrupt in den geopolitischen Alltag zurück. Gegen Hans Magnus Enzensberger, dessen Vergleich von Saddam Hussein mit Hitler sie implizit kritisierte, bezog sie eine "mürrische" Außenseiterposition: "Wer im Giftgaslieferanten-Deutschland gegen den Krieg war, galt pauschal als Provinzler oder Antisemit."

Mit ihren Stellungnahmen bewies Brigitte Kronauer - zuletzt veröffentlichte sie den Roman Verlangen nach Musik und Gebirge - auch, dass Sprachbewusstsein nicht mit politischer Naivität zu bezahlen ist, und dass Liebe zum Deutschen nicht in Nationalismus umschlagen muss. Die Position einer Intellektuellen musste sie nie anstreben, weil ihr ganzes Schreiben intellektuell ist. Und das "in einer Sprache, die entgegen einem unausrottbaren Klischee keineswegs nur zum Befehlen taugt". (DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.11.2005)