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Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Deutschlands designierter Innenminister Wolfgang Schäuble, ORF-Chefredakteur Werner Mück, EU-Kommissar Günter Verheugen und SP-Chef Alfred Gusenbauer (v.l.n.r.) diskutierten im Rahmen der ORF-"Europa-Matinee".

Foto: APA/ORF/MILENKO BADZIC
Die österreichische EU-Präsidentschaft rückt näher, das zeigt sich auch im Programm des ORF. Bundeskanzler Schüssel gab dort am Sonntag live die Parole für den Wiener Vorsitz aus.

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Wien - Europa ist ein weites Feld. Und dieses in Diskussionen zu durchmessen ist mitunter ziemlich mühselig. Erst recht im TV. Das war Sonntag im ORF zu sehen. Der sendete aus der Wiener Albertina die erste von fünf geplanten Europa-Matineen. Deren Doppelthema: das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell sowie die Grenzen Europas.

Wolfgang Schäuble, designierter Innenminister in Berlin, wies dort darauf hin, dass nicht die in der Globalisierung geforderte Flexibilität, sondern Stagnation eine Bedrohung für Europa sei. EU-Industriekommissar Günter Verheugen konstatierte, dass die Globalisierung unterm Strich keine Arbeitsplätze in Europa gekostet habe. Der Wirtschaftswandel biete auch Chancen, in Indien und China entstünden auch riesige Märkte, die es zu beackern gelte. Dafür sei es aber notwendig, im Wettbewerb durch mehr Qualifikation, Forschung und Innovation zu bestehen.

Motto

Demgemäß gab Bundeskanzler Wolfgang Schüssel "die Ärmel hochkrempeln und den Hausverstand einschalten" als Motto für die kommende österreichische EU-Präsidentschaft aus. Man dürfe den Menschen - etwa auf dem EU-Jobgipfel im Frühjahr - nicht uneinlösbare Versprechen machen. Andererseits könne gerade das europäische Sozialmodell von Solidarität und Lebensqualität ein Exportartikel werden.

In Protektionismus indes überboten sich Österreichs erster Sozialdemokrat Alfred Gusenbauer und der mit rosaroter Krawatte angetane Jörg Haider (BZÖ). Gusenbauer trat für die Sistierung von Handelsverträgen ein, sofern diese europäische Arbeitnehmerinteressen gefährdeten. Haider forderte Schutzzölle für Importwaren, die nicht gemäß europäischer Sozial- und Ökostandards gefertigt wurden.

Als Haider die Dienstleistungsrichtlinie der EU für Sozialdumping verantwortlich machte, wies Verheugen den Kärntner Landeshauptmann darauf hin, dass es bereits seit 50 Jahren in der Union Dienstleistungsfreiheit gebe und deren Missbrauch von den Regierungen der EU-Mitglieder zu kontrollieren sei.

"Beginn einer Krise"

In der zweiten Debatte kam man kaum zum Thema, den Grenzen Europas. Unter dem Eindruck der Ereignisse in Frankreich sagte Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner, dass Europa viel mehr auf Fragen der Migration und Integration zu achten habe, weil es hier "verletzbar" sei. "Wir können nur für die Menschen in Europa etwas tun, wenn wir die Nachbarländer beeinflussen", erklärte SP-Europaparlamentarier Hannes Swoboda.

Für Andreas Mölzer (FPÖ) bedeutet die "Multikulti-Gesellschaft" auch eine Multiproblem-Gesellschaft. Man müsse "Ängste der autochtonen Europäer ernst nehmen" und Zuwanderung stoppen. Außenministerin Ursula Plassnik verwehrte sich gegen den Vorwurf ungeregelter Immigration. Es habe sich in keinem Bereich seit dem ersten österreichischen EU-Vorsitz 1998 so viel getan wie bei innerer Sicherheit und Asyl. Johannes Voggenhuber (Grüne) las aus den brennenden Vorstädten Frankreichs den Zorn von in Verteilungs- und Beteiligungsfragen Benachteiligten: "Wir erleben keine Krise, sondern den Beginn einer Krise." (DER STANDARD, Printausgabe 7.11.2005)