Foto: Süddeutsche Junge Bibliothek
Nein, die berühmte Blechbüchsenarmee kommt im Kleinen dicken Ritter leider nicht vor. Ansonsten aber gibt es alles, was es in einem Buch geben muss, mit dessen Hilfe man in ferne, aber nicht existierende Länder und nie gemessene Zeiten verreisen kann.

Es gibt also: Ritter, mehrere und einen herzensguten und armstarken, eben Oblong-Fitz-Oblong; Drachen, jede Menge; Bösewichter, zwei. Und außerdem noch: sprechende Tiere; hochragende Burgen; perfide Zauberer; gestohlene Pralinenschachteln. Eigentlich gibt es nichts, was es gibt, in diesem Buch nicht. Und das, was es doch nicht gibt in diesem Buch, ist entweder verwerflich - Computer, Autos, Fernsehen - oder führt ins Unglück - Liebeshändel, Fußball, Vanilleeis.

Ich habe den kleinen dicken Ritter Sir Oblong-Fitz-Oblong in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts - wie das schon klingt: des vergangenen Jahrhunderts - kennen gelernt. Da kam er im Fernsehen, das schwarz-weiß war und drei Programme hatte. Eigentlich reichte das auch. Man kann ohnehin nicht mehr als ein Programm auf einmal anschauen. Die Augsburger Puppenkiste hatte Oblongs Schicksal 1963 auf die Bühne gebracht.

Robert Bolt hatte Oblongs Geschichte ursprünglich als Hörspiel geschrieben, aber sie liest sich auch als Buch ganz trefflich. Übrigens gibt es im US-Bundesstaat Illinois ein Städtchen, das Oblong heißt. Ich bin ganz sicher, dass es nach dem kleinen dicken Ritter benannt ist. Wie bei jedem guten Buch, zum Beispiel bei den Buddenbrooks oder bei Gutzkows Rittern vom Geiste, ist es auch beim kleinen dicken Ritter Oblong-Fitz-Oblong schwierig, die Handlung und vor allem die Seele der Handlung in Kürze hinreichend zu beschreiben.

Oblong wird vom Herzog auf die Bolligru-Insel geschickt, wo der Baron Bolligru sein Unwesen treibt. Bolligru ist eine Art Saddam Hussein, der Kirchen zerstört und der Völlerei sowie der allgemeinen Unmoralität huldigt. Oblong dagegen ist ein durch und durch guter, gelegentlich gepanzerter Mensch, der normale Drachen nicht tötet, sondern zähmt, und nicht einmal besonders böse Drachen tötet, sondern ihnen nur ihre Schwänze abschlägt, die allerdings wieder nachwachsen.

Kämpfen mag er eigentlich nicht, aber wenn er kämpft, dann kämpft er nicht wie ein kleiner dicker Ritter, sondern so als wäre er ein Mitglied der Tafelrunde von König Artus oder mindestens der beste aller Playmobil-Ritter. Übrigens glaube ich, dass Oblong das Vorbild aller Playmobil-Ritter ist. Auf der Bolligru-Insel jedenfalls geht es rund, zumal da Oblong eine Dohle namens Dolfus und der Dachs Wilhelm, ein gebenedeiter Lochgräber, zur Seite stehen. Bolligrus Spießgeselle ist ein Schläger namens Schwarzherz, der genauso doof wie behaart ist.

Besonders hübsch ist das Kapitel, in dem Oblong zum Richter gewählt wird. Das ist nicht nur ein Grundkurs in Staatsbürgerkunde, sondern auch eine Unterweisung in der Kunst der warmherzigen Intrige. Der Oblong jedenfalls ist ein Buch, das man als Kind toll findet und als Erwachsener immer noch großartig. (DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.11.2005)