Bertram Wolf, Geschäftsführer des Zukunftzentrums Tirol.

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Das Zukunftszentrum Tirol hat dafür ein Coachingprogramm entwickelt, das dabei unterstützen soll, etwa im Zuge von beruflichen Veränderungsprozessen persönliche Kompetenzbilanz zu ziehen.

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70 Prozent aller jobrelevanten Kompetenzen stehen in keinem Zeugnis. Viele Fähigkeiten sind den Einzelnen selbst nicht bewusst und bleiben in beruflichen Entscheidungen unberücksichtigt. Unter diesen beiden Prämissen hat das Zukunftszentrum Tirol vor zwei Jahren ein innovatives Coachingkonzept entwickelt. Inzwischen haben 1500 Menschen ihre persönliche Kompetenzenbilanz gezogen. Jetzt liegt eine interne Evaluation des Projekts vor, die selbst im Zukunftszentrum und bei den Autoren der Kompetenzenbilanz positiv überrascht hat. Die Kompetenzenbilanz ist ein mehrwöchiger Prozess, der aus drei Einzelsitzungen mit einem Coach und individuellem Arbeiten an einem Lebensprofil besteht. "Die Kompetenzenbilanz hat das Ziel, die Menschen zu aktivieren, über sich selbst nachzudenken", erklärt Bertram Wolf, Geschäftsführer des Zukunftszentrums, das von der AK-Tirol eingerichtet wurde und vom Land mitfinanziert wird.

Perspektivensuche

Wolf sieht im "Bildungswahnsinn auch eine Geldvernichtungsmaschine" und vergleicht das Anhäufen von Kursen und Zertifikaten mit jemandem der Einkaufen geht, obwohl der Kühlschrank voll ist. Das Konzept der Kompetenzenbilanz hat das Universitätsinstitut des Münchner Wirtschaftspsychologen Lutz von Rosenstiel erarbeitet. Rosenstiel nennt die Kompetenzenbilanz eine "Disposition zur Selbstorganisation", die sich gegenüber vergleichbaren Modellen u. a. durch die "konkrete Suche nach Perspektiven" unterscheidet.

Die Evaluation hat ergeben, dass die Kompetenzenbilanz nicht nur in beruflichen Umbruchsituationen nützlich ist, sondern Langzeitwirkungen hat. Die Interviews zeigen, dass viele Teilnehmer dadurch selbstbewusster und weniger mobbinganfällig werden. Signifikant verbessert hat sich der Umgang mit Stress, weil es besser gelinge "nach belastenden Situationen abzuschalten".

Wegen der damit verbundenen gesundheitlichen Aspekte ist für Wolf damit auch eine volkswirtschaftliche Dimension angesprochen. Aus den Interviews ergebe sich nicht unbedingt, dass die Kompetenzenbilanz einen Karrieresprung auslöst. Es sei aber schließlich auch wertvoll zu wissen, den richtigen Job zu haben und fähiger zu sein, jene Dinge zu verändern, die einem nicht passen, meint Wolf. In den Interviews findet sich auch die Antwort: "Die Kompetenzenbilanz hat mir die Kraft gegeben zu kündigen."

International gefragt

Bei der Weiterentwicklung der Kompetenzenbilanz ist daran gedacht, den beruflichen Perspektiven noch mehr Raum zu geben und eine (billigere) Gruppenvariante auszuarbeiten, bei der die Arbeit mit dem Coach durch den Austausch der Teilnehmer ergänzt wird. In der gegenwärtigen Form kostet eine individuelle Kompetenzenbilanz 490 Euro, seitens des Landes Tirol gibt es eine Förderzusage für 500 weitere Bilanzen. "Uns geht es darum, dass das erfolgreiche Instrument von Weiterbildungsorganisationen wie bfi und Wifi, aber auch dem AMS übernommen wird", meint Wolf.

Die Rolle des Zukunftszentrums könnte sich dann auf die der Qualitätssicherung beschränken. Besonders erfreut ist Wolf darüber, dass die Kompetenzenbilanz inzwischen bereits international nachgefragt wird. (Hannes Schlosser/Der Standard, Printausgabe 12./13.11.2005)