Brüssel/Luxemburg - Trotz hoher Ölpreise zieht das Wachstum in Europa wieder an: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Eurozone und der gesamten EU stieg im dritten Quartal gegenüber den drei Vormonaten um 0,6 Prozent. Das teilte die Europäische Statistikbehörde Eurostat am Dienstag in Luxemburg in einer Schnellschätzung mit. Im zweiten Quartal war die Wirtschaft in der Eurozone um 0,3 Prozent gewachsen, in der EU mit 25 Staaten um 0,4 Prozent.

Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wuchs das BIP im dritten Quartal in der Eurozone mit den 12 Staaten der Euro-Währung um 1,5 Prozent, in der EU um 1,6 Prozent. Im zweiten Quartal hatten die Werte 1,1 Prozent (Eurozone) und 1,3 Prozent (EU) betragen.

Das Plus des "kleinen Aufschwungs" im dritten Quartal liegt am oberen Rand einer früheren Vorhersage der EU-Kommission vom Oktober. Im Schlussquartal könnte das BIP im Eurogebiet laut früheren Kommissions-Berechnungen zwischen 0,4 und 0,8 Prozent zulegen. Für das Gesamtjahr erwartet die Kommission in der Eurozone wegen der hohen Energiepreise nur noch ein Wachstum von etwa 1,2 Prozent. Die Behörde will an diesem Donnerstag ihr Herbst-Konjunkturgutachten vorlegen.

Deutschland lag im dritten Quartal laut Eurostat mit plus 0,6 Prozent genau im EU-Schnitt. Frankreich erreichte 0,7 Prozent Wachstum, Spanien 0,8 Prozent.

Österreich mit beschleunigtem Wachstum

In Österreich hat auch das Wifo heute in einer Schnellanalyse beschleunigtes Wachstum bescheinigt: Bereinigt um Saison- und Arbeitstagseffekte gab es ein BIP-Plus um 0,6 Prozent gegenüber dem Vorquartal sowie einen Anstieg um 2 Prozent im Jahresvergleich. In Italien hat das BIP hingegen im dritten Quartal stagniert.

Eine sehr schwache Konsumnachfrage vor allem in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland hatte noch im zweiten Quartal das Wachstum in der Eurozone gebremst.

Aus Deutschland gibt es nun aber wieder gute Nachrichten von der Wirtschaft. Die Konjunktur hat trotz der hohen Ölpreise die Delle vom Frühjahr überwunden und neuen Schwung geholt. Mit plus 0,6 Prozent hat die Wirtschaft im Sommer an den Aufwärtstrend vom Jahresbeginn angeknüpft. Neben dem Antriebsmotor Export regt sich endlich auch im Inland wieder Leben. Die Firmen haben im Sommer mehr Maschinen gekauft und investiert. Das sorgt für Optimismus bei den Ökonomen, die bereits von einer Wende sprechen. Im Vergleich zum dritten Quartal 2004 legte die Wirtschaftsleistung kalenderbereinigt sogar um 1,4 Prozent zu.

Wachstumsmotor bleibt Export

Aber auch deutlich gestiegene Investitionen wirkten sich den Statistikern zufolge positiv aus. Bisher waren die Statistiker für das zweite Quartal von einem Null-Wachstum im Vergleich zu den ersten drei Monaten des Jahres ausgegangen. Jetzt revidierten sie den Wert für die Monate April bis Juni auf 0,2 Prozent nach oben. Das flaue Wachstum hatte bei Veröffentlichung der Zahlen im August, einen Monat vor der Bundestagswahl, für heftigen Streit gesorgt.

Die frühere deutsche Bundesregierung rechnete nach einer im Frühjahr abgeschwächten Prognose für das Gesamtjahr 2005 mit einem Wachstum zwischen 0,75 Prozent und 1,25 Prozent, im Schnitt also mit einem Prozent. Die sechs führenden Wirtschaftsinstitute schätzen die BIP-Zunahme dagegen nur auf 0,7 Prozent. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung ist etwas optimistischer und schätzt das Gesamtwachstum auf 0,8 Prozent. Für das kommende Jahr erwarten die so genannten fünf Weisen eine BIP-Zunahme auf ein Prozent, die Bundesregierung geht von 1,2 Prozent aus.

"Deutschland, lange Zeit verhöhnt als kranker Mann Europas, zeigt klare Anzeichen einer neuen Kraft", sagt Chefvolkswirt Holger Schmieding von der Bank of America. "Die Wirtschaft erlebt einen Aufschwung wie aus dem Lehrbuch." Die Exporte wurden im Sommer von der robusten Weltwirtschaft und der Abwertung des Euro unterstützt. Weil die Unternehmen hervorragende Gewinne einfuhren und weiter auf guten Absatz im Ausland hoffen, investierten sie mehr. "Die zweite Stufe des Aufschwungs hat gezündet", sagt Volkswirt Ralph Solveen von der Commerzbank. Die Investitionen könnten im Gesamtjahr um rund fünf Prozent steigen.

Sorgenkind der deutschen Wirtschaft bleibt Konsum

Im Vergleich zu früheren Aufschwungphasen kommt in Deutschland das Inland aber nur ganz langsam in Fahrt. Wachstumsbremse in Deutschland sind nach wie vor die Verbraucher. "Sorgenkind und Achillesferse der deutschen Konjunktur bleibt der Konsum", sagt der Präsident der Deutschen Bundesbank, Axel Weber. Andere Ökonomen sprechen vom Konsum als "Hemmschuh" oder "Trauerspiel". Die Verbraucher lassen einfach nicht die Kassen klingeln. "Den Konsumenten bleibt zu wenig Geld in der Tasche", sagt Volkswirt Solveen. "Die verfügbaren Einkommen stagnieren und werden auch 2006 kaum steigen."

Einen Konsumaufschwung sehen die meisten Experten auch für 2006 nicht. Sie erwarten nur einen leichten Schub durch die Fußball-Weltmeisterschaft sowie vorgezogene Käufe bei Autos, Möbeln und Haushaltsgeräten mit Blick auf die für Anfang 2007 geplante Mehrwertsteuer-Erhöhung. "Die Steuererhöhung wird die Psychologie in Deutschland 2006 zwar positiv beeinflussen - aber 2007 kommt sie als Bumerang zurück", warnt der Chefvolkswirt der DekaBank, Ulrich Kater.

Die mittelfristigen Aussichten für die Konjunktur bleiben daher gedämpft. Das Wohl und Wehe der Wirtschaft hängt vom Export ab - damit bleibt die Wirtschaft anfällig. Die weiterhin hohen Ölpreise, die im Sommer auf 70 Dollar je Barrel schnellten, sind ein Risiko. Im Gesamtjahr werden sie das Wachstum in Deutschland um 0,3 Prozentpunkte bremsen. (APA)