Wien - Also hat Wolfgang Mitterer, der (zugegeben: auch in diesem Blatt) gerne als Meister des Dionysisch-Orgiastischen apostrophiert wird, den Stier journalistischen Kästchendenkens bei den Hörnern gepackt und eine "Brachialsinfonie" abgeliefert. Haupttitel: Coloured Noise . Mit ihr erfüllte der Osttiroler Komponist und Improvisator den diesjährigen Erste-Bank-Kompositionsauftrag.

Wobei "erfüllen" durchaus wörtlich zu nehmen war: Mitterers fünfsätziges, knapp 70-minütiges Werk, das am Mittwoch vom bravourösen Klangforum Wien unter Peter Rundel im Großen Konzerthaussaal aus der Taufe gehoben wurde, gerierte sich als geballte Ladung an Klangmassen, als ein wild zerfurchtes Meer der Sounds, das wie eine klingende Ursuppe kochte und brodelte, die in ihren massigen Partikelwogen aber niemals zu konkreter, greifbarer Gestalt gerann.

Nervös nestelnde Electronica vom Tonband - klanglich etwas zu sehr am Stand der 80er-Jahre orientiert - bedeutete eine stimulierend instabile Bezugsvorlage für die innerhalb bestimmter Parameter improvisatorisch agierenden Klangforum-Mitglieder - die Wolfgang Mitterer persönlich mit dissonanten Fortissimo-Einwürfen an der Orgel wiederholt zusätzlich aufscheuchte.

Das Bild der siedenden Ursuppe, es schien weiterhin brauchbar. Insofern, als sich das Geschehen im Laufe des 20 Minuten vor sich hin zischenden erstens Satzes doch sukzessive abkühlte. Und insofern, als sich in den drei mittleren "Scherzo"-Teilen kleinste Strukturkeimzellen in diese Welt amotivischer Fluktuation einnisten konnten: Puls (insbesondere im motorisch geprägten zweiten Satz) und Linie.

Paradoxerweise besaß einzig und allein das Finale, das alle so entwickelten Aggregatzustände des Klangmaterials integrierte, gewisse Längen. Am Ende der packenden, in ihrem Detailreichtum beeindruckenden Komposition stand ein Moment der Kontemplation, mit einer aufsteigenden Vibrafon-Linie als auskomponiertem Fragezeichen. Wolfgang Mitterer, der Brachialist, ist seinem Ruf treu geblieben und auch nicht: Erweist er sich mit Coloured Noise doch auch als Großmeister der Zwischentöne, des Feinnervig-Filigranen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.11.2005)