Ich spürte das Nahen eines Anfalls von Menschenliebe und Demokratie. Daß sie mich um Gottes willen nicht so sah! Dann war ich verloren!" Das Alter bringt über Erfahrung die Gewissheit, dass jedes Klischee immer exakt zutrifft. Insofern musste Andrej Kurkow für seinen Roman nur wenig erfinden, um derart realistische Kunst zwischen guten, alten Daseinsfragen und Soseinsbeschreibungen zu schaffen, dass sich der Leser denkt: typisch russisch! Pardon: ukrainisch.

Zwar spielt Die letzte Liebe des Präsidenten auf drei über vier Jahrzehnte verteilten Zeitebenen zwischen 1975 und 2016. Was jetzt komplizierter klingt, als es uns der Verlag von Donna Leon und Paul Coelho zumuten wollte. Der Roman jedenfalls schildert den Aufstieg des Tunichtguts Sergej Pawlowitsch Bunin aus den korrupten und verkommenen Sowjet-Zeiten einer kommunistischen Teilrepublik in die freie Marktwirtschaft eines verkommenen und korrupten Oligarchenstaates.

In naher Zukunft wird also Bunin zum Präsidenten der Ukraine gewählt werden. Und Kurkow, der mit seinem depressiven und herzkranken Pinguin Mischa aus Picknick auf dem Eis bekannt gewordene Satiriker und Großmeister der (politischen) Groteske, der in seinen besten Momenten gar an Michail Bulgakow ( Der Meister und Margarita ) herankommt, kann bezüglich eventueller Vorurteile gegenüber Korruption und Verbrechen, Sex, Wodka, Cognac und Whiskey, Frauen, Geld und Schmiergeld im Zusammenhang mit Politik in frisch gebackenen Demokratien im Osten hier beherzt aus dem Vollen schöpfen. Neu beherzt geht 2016 auch Präsident Bunin in eine ungewisse Zukunft. Eine schwere Erkrankung bescherte ihm das Spenderherz eines ukrainischen Oligarchen - und einen Herzschrittmacher, der sich später als von der Opposition über Fernsteuerung manipuliert erweist. Wie Kurkow seinen Protagonisten auf alternierenden Erzählebenen in mitunter auch tragische Frauen-, Familien- und Beziehungsprobleme mit der Opposition und vor allem mit dem 2016 immer noch regierenden russischen Präsidenten Putin jagt, ist oft eine wahre Freude. Ein Unterhaltungsroman, wie er sein könnte. Philosophischen Tiefgang und moralische Erbauung holen wir uns dann bei Paul Coelho. (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 19./20.11.2005)