Wien - Nach den Worten von Polens neuer Botschafterin in Österreich, Irena Lipowicz, hat ihr Land Verständnis für die Sanktionen der anderen EU-Länder gegen Wien. "Die 14 haben ihre Maßnahmen plausibel erklärt, sie denken dabei an das Wohl der Familie; bei der Geschichte Polens kann es nicht verwundern, dass wir auf der Seite der EU-Mehrheitsmeinung stehen", sagte die seit 3. Mai amtierende Missionschefin im Gespräch mit dem STANDARD. Irena Lipowicz ist Universitätsprofessorin für Verwaltungsrecht. Ihre erste Bekanntschaft mit Österreich rührt von einem Forschungsaufenthalt an der Universität Graz 1988 her. Bereits seit 1980 ist sie Mitglied der Gewerkschaft Solidarnosc, seit 1991 war sie Parlamentsabgeordnete der liberalen Freiheitsunion (UW) und acht Jahre lang auch Vorsitzende der polnisch-österreichischen Parlamentariergruppe. Das österreichische Volk habe sich freiwillig "für diese Wertegemeinschaft" (die EU, red.) entschieden, sagte die Botschafterin. Nun gebe es eine Familienkrise. "Wir Polen wissen vielleicht besser als andere Nationen, dass in Krisen auch Chancen liegen. Die Krise wird überwunden werden, Österreich wird in der Familie bleiben." Lipowicz erinnerte zum Mauthausen-Gedenktag daran, dass in diesem KZ mehr als 30.000 Polen ermordet wurden. Ein österreichischer Naturwissenschafter habe "kaltblütig polnische Schädel zur Ausstellung im Naturhistorischen Museum bestellt und von der Gestapo bekommen". Der Mann habe noch lange nach dem Krieg hoch angesehen gearbeitet. "Vertrauen gesunken" "Die Familien der Opfer leben noch. Wie sie gibt es viele andere Polen, die von solchen Traumata geprägt sind. Wenn nun plötzlich Kräfte in der österreichischen Regierung vertreten sind, die sich in der Vergangenheit verharmlosend über NS-Verbrechen geäußert haben, ist es wohl verständlich, dass das Vertrauen der Polen in die ÖsterreicherInnen gesunken ist." Die Botschafterin spielte damit auf Umfragen an, wonach sich die betont positive Haltung der Polen gegenüber Österreich deutlich abgeschwächt hat. Die Entdeckung der Überreste der Ermordeten im Naturhistorischen Museum, ihre Überführung und Bestattung in Polen wurde durch Direktor Bernd Lötsch und Universitätsdozentin Maria Teschler-Nicola ermöglicht. Den beiden Wissenschaftern überreichte die Botschafterin Freitag Abend bei einer Feier im Museum hohe polnische Orden. Dazu meinte Lipowicz im Gespräch, es sei für sie unverständlich, warum Österreich nicht selbst solche Verdienste stärker würdige: "Warum verzichtet man auf Teile der eigenen Geschichte? Wo sind die Kasernen in Österreich, die nach Anton Schmid, einem Österreicher, benannt sind?" Die in Umfragen ausgewiesene negative Haltung einer Mehrheit der Österreicher gegenüber Polen, auch mit Blick auf die EU-Erweiterung, war für die Botschafterin "eine der größten Überraschungen". "Ich halte es für meine Lebensaufgabe, hier zu einem Umschwung beizutragen. Und ich glaube fest daran, dass sich gerade Polen und Österreicher in der EU wunderbar verstehen werden." Jedenfalls werde sie das direkte Gespräch mit der Bevölkerung suchen. Mit dem EU-Beitritt Polens rechnet sie noch während ihrer Mission in Wien. Was das Problem Österreich-EU betrifft, so glaubt die Juristin an ein klar geregeltes Verfahren für künftige derartige Fälle: "Das war in der Rechtsgeschichte immer so: Krisen sind die Quellen späterer Verfahren." Josef Kirchengast für Der Standard