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Parallelgesellschaften von Migrantinnen dürfen nicht Gesetze verletzen, so die Frauenministerin Rauch-Kallat.
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Frauenministerin Maria Rauch-Kallat will Zwangsehen und andere traditionsbedingte Gewalt enttabuisieren. In Österreich sei nur die Spitze des Eisberges Gewalt bekannt, sie will sensibilisieren und Gesetzeslücken schließen, meint Maria Rauch-Kallat anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen zu Eva Linsinger.


DER STANDARD: Sie wollen Kampf gegen Gewalt bei Migrantinnen, Genitalverstümmelung und Zwangsehen zum Thema der EU-Präsidentschaft machen. Warum?
Rauch-Kallat: Traditionsbedingte Gewalt ist ein Problem. Das, was an die Öffentlichkeit kommt, ist nur die Spitze eines Eisberges. Wir führen seit eineinhalb Jahren Gespräche mit Betroffenen und wissen, dass das Thema absolut tabuisiert ist. Die Frauen schweigen aus Angst vor Verfolgung oder neuerlicher Gewalt oder aus Sorge, dass sie aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Das Thema ist lebensbedrohend, wie leider auch versuchte oder vollzogene Ehrenmorde zeigen.

DER STANDARD: Zwangsheirat, Genitalverstümmelung sind verboten. Warum reicht das nicht?
Rauch-Kallat: Es gibt schwimmende Grenzen zwischen arrangierten Heiraten und Zwangsheiraten. Oft verschwinden Mädchen, zu Hause, bei Großeltern, während der Ferien. Bei Genitalverstümmelung können wir nicht ausschließen, dass sie in Österreich praktiziert wird - es war aber nie nachweisbar. Ein Fall eines Arztes in Wien kam zur Anzeige, das Verfahren musste aus Mangel an Beweisen eingestellt werden. Wir starten eine Umfrage, an der sich Ärztinnen und Experten beteiligen können, auch anonym, das macht die Schwelle niedriger. Und wir führen Meldepflicht ein, damit das Problem bekannter wird.

DER STANDARD: Wie wollen Sie an junge Frauen herankommen?
Rauch-Kallat: In manchen Kulturen haben die jungen Mädchen Angst, nicht geheiratet zu werden, wenn sie die Tradition nicht weiterführen. Es ist auch verboten, wenn die Eltern die Tochter im Ausland beschneiden lassen - auch dann sind sie hier strafbar. GynäkologInnen und KinderärztInnen sollen auf diesem Gebiet aus- und weitergebildet werden.

DER STANDARD: Auch Zwangsehen finden teils im Ausland statt, etwa in den Ferien. Haben Sie da Handhabe dagegen?
Rauch-Kallat: Bei Minderjährigen kaum. Wir haben nur dann eine Handhabe, wenn die Mädchen volljährige österreichische Staatsbürgerinnen sind. Es gab einen Fall einer jungen Pakistani, die Staatsbürgerin war, hier maturierte, in den Ferien heimgeschickt und verheiratet werden sollte. Der Pass wurde ihr abgenommen, das Handy auch. Irgendwie gelang es ihr, mit ihrem Freund in Wien Kontakt aufzunehmen, und dann haben wir es geschafft, sie nach Österreich zurückzubringen.

DER STANDARD: Aber was ist mit Mädchen, die hier leben und in der Türkei verheiratet werden?
Rauch-Kallat: Da müssen wir erst einmal von der Zwangsheirat erfahren. Daher entwickeln wir für die Schulen ein eigenes Schulpaket: Wenn eine Lehrerin merkt, dass das in der Klasse Thema ist, dann kann sie Expertinnen anfordern, die darüber reden.

DER STANDARD: Selbst wenn Sie es wissen, können Sie nichts tun?
Rauch-Kallat: Wir schließen gerade Gesetzeslücken: Wenn eine Minderjährige wegläuft von daheim, müssten wir sie nach österreichischem Recht den Eltern zurückbringen. Jetzt gibt es Schutzmaßnahmen. Wir versuchen auch Bewusstsein zu schaffen: Justizministerin Karin Gastinger hat einen Gesetzesentwurf in Begutachtung geschickt, laut dem Zwangsehe vom Privatdelikt zu einem Offizialdelikt wird. Damit muss für Anklagen nicht mehr die Einwilligung des Opfers eingeholt werden, das Opfer kann Klagen auch nicht zurückziehen.

DER STANDARD: Eine Lex Islam?
Rauch-Kallat: Es ist kein islamisches Problem. Sondern ein kulturelles, es gibt christliche Kulturen in Afrika, die Beschneidungen vornehmen. Gewalt darf nie toleriert werden und lässt sich nicht mit dem Vorwand Religion rechtfertigen. Mir ist egal, ob es islamische oder christliche Gewalt ist. Daher werden wir in der Präsidentschaft Initiativen für Frauen mit Migrationshintergrund machen. Parallelgesellschaften von Migrantinnen dürfen nicht Gesetze verletzen. Wir müssen die Frauen schützen. Dafür müssen wir bei einem Teil der Frauen erst Bewusstsein schaffen.

D ER S TANDARD : Im Wiener Wahlkampf wurden Migrantinnen teils aufs Kopftuch reduziert. Halten Sie ein Kopftuchverbot wie in Frankreich für sinnvoll? Rauch-Kallat: Das ist wirklich eine religiöse Frage: Denn wenn wir das Kopftuch verbieten würden und zu Ende denken, dann dürften auch Nonnen ihre Tracht nicht mehr tragen. Oder Juden die Kippa. Wenn, dann müsste man konsequent sein - auch deshalb war ich immer gegen Verbote. Diese Toleranz kann man aufbringen. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 25.11. 2005)