Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: AP /Hans Punz
Was man nicht alles tut, um nichts zu verlieren. So lautet einer der nachhaltigsten Sätze in Michael Hanekes Caché, der Geschichte des bürgerlichen Familienvaters Georges (Daniel Auteuil), der von einem anonymen Bedroher verunsichert wird und sich daraufhin mit einer alten Schuld konfrontiert sieht. Ein Thema, das der britische Romancier Ian McEwan in seinem jüngsten Buch Saturday auf vergleichbare Art behandelt: Bei ihm wird ein wohlsituierter Arzt durch die durch Terror und Paranoia bestimmte politische Gegenwart in seiner Selbstgenügsamkeit gestört.

Womöglich zeigt auch diese Parallele auf, dass Hanekes Filme immer universeller werden. Dass er - in Frankreich, mit einer befreienden Distanz zu seiner Heimat, drehend - heute einer der wenigen Regisseure ist, die ein europäischen Kino realisieren, dem es gelingt, eine kollektive Sensibilität zu treffen, ohne zum kalkulierten Prestigeprodukt zu werden. Gerade insofern ist die Auszeichnung von Caché als "Bester europäischer Film" ein schöner Erfolg.

Die Skepsis gegenüber den manipulativen Möglichkeiten des Films, die er mittlerweile ungemein kontrolliert aufzeigt, ist Haneke, der 1942 in München geboren wurde, geblieben. In seinen Fernsehfilmen aus den 70er-Jahren schulte er gewissermaßen die Konzentration, mit der er seit 1989, bereits 47-jährig, Kinofilme dreht. Schon seine "Trilogie der emotionalen Vergletscherung" (Der siebente Kontinent, Bennys Video, 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls), in der er seine pessimistische Beschreibung sozialer Systeme mit einer moralischen Rigorosität vorantreibt, brachte ihm im Ausland Anerkennung ein. Die heimische Rezeption verlief um vieles kontroversieller.

Haneke blieb unbeirrt. Mit der Thrillerdekonstruktion Funny Games griff er einen seiner Lieblingsgegner, das "Unterhaltungskino" und dessen ambivalenten Umgang mit Gewalt, sehr direkt an. Dafür wiesen seine nächsten Arbeiten, Code: Inconnu, Die Klavierspielerin und Wolfszeit, bei aller Insistenz auf gesellschaftliche Defekte auch Anzeichen einer allmählichen Öffnung auf: Haneke kontrolliert den Zuseher inzwischen auch dann noch, wenn er ihm reflexive Freiräume zugesteht.

Man darf gespannt sein, wie diese Entwicklung weitergeht. Im kommenden Mozart-Jahr wird Haneke zunächst einmal das Medium wechseln und in Paris Don Giovanni inszenieren. Er schließt damit auch an seine Anfänge an: In den frühen 70ern inszenierte der Sohn zweier Theaterschauspieler an mehreren deutschen Bühnen. Darüber hinaus hat Hollywood Interesse an einem Remake von Caché angemeldet - ein reizvolles Gedankenexperiment, zu überlegen, wie sich Hanekes Misstrauen gegenüber Bildern in das dort dominierende Zerstreuungsprogramm einfügt. (DER STANDARD, Printausgabe, 05.12.2005)