Hier heißt es rennen: Mit diesem Piktogramm warnt die National Oceanic & Atmospheric Administration (NOAA) vor dem Tsunami.

Illustration: STANDARD/NOAA
Ein Tsunami hatte die Menschen am Meer überrollt. Mehr als 220.000 Menschen starben. Das japanische Wort steht für eine Meereswoge, die durch Erdbeben unter dem Wasser hervorgerufen wird. Geowissenschafter wollen zukünftig mit innovativen Frühwarnsystemen die schlimmsten Auswirkungen verhindern.

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Zunächst bemerkt niemand etwas. Die Gefahr unterhalb des Meers bleibt lange unsichtbar. Das Wasser sieht aus wie immer, nur der Meeresspiegel steigt um rund einen Meter an. Die Riesenwellen bilden sich erst kurz vor dem Strand, wenn die schnell fortpflanzende Wasserwoge vom ansteigenden Meeresboden vor der Küste nach oben gedrückt wird. Auf einen Schlag können sie Landstriche verwüsten. Durch kaum vorstellbare Energiemengen werden die Wassermassen in Sekundenbruchteilen um mehrere Meter nach oben gedrückt. Die Wellen können sogar große Schiffe kilometerweit ins Landesinnere tragen.

Mehr als 220.000 Menschen starben bei den Seebeben vor knapp einem Jahr im Indischen Ozean. Um zu verhindern, dass Tsunamis in Zukunft wieder tausende von Menschen in den Tod reißen und verheerende Verwüstungen anrichten, arbeiten Wissenschafter in der ganzen Welt an einem innovativen Tsunami-Frühwarnsystem. Das Tsunami Early Warning System (TEWS) soll in der geologisch kritischsten Zone des Indischen Ozeans, dem Sunda-Bogen, installiert werden und in den nächsten Jahrzehnten bei derartigen Naturkatastrophen rechtzeitig Alarm schlagen.

In die Entwicklung des Systems sind vor allem neueste Erkenntnisse aus der Erdbebenforschung eingeflossen. "Führend auf diesem Gebiet ist das deutsche Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam", sagt der österreichische Geowissenschafter und Projektmanager Peter Zeil vom Zentrum für Geoinformatik an der Universität Salzburg. "Österreich liegt nicht am Meer. Wir wollen uns nicht in Fachgebiete hineindrängen, wo andere vorn sind", erklärt er.

Das rund 45 Millionen Euro teure Tsunami-Warnsystem soll Teil eines umfassenden Systems werden, das auch andere Naturkatastrophen wie Erdbeben und Vulkanausbrüche erfassen soll. Es verknüpft terrestrische Beobachtungsnetze der Erdbebenkunde (Seismologie) und der Vermessungskunde (Geodäsie) mit neuen Messverfahren und Satellitenbeobachtungen und wird 2008 vollständig einsatzbereit sein. Der Plan ist Teil der weltweiten Hilfe, die die Intergovernmental Oceanographic Commission (IOC) der Unesco im Auftrag der UN koordiniert.

"Wir können mit den heutigen Methoden keine Erdbeben im Meer vorhersagen", sagt der österreichische Wissenschafter Zeil. "Doch wir können erfassen, wann sie auftreten und dann die Menschen rechtzeitig warnen. Dafür bedarf es aber vor allem des Aufbaus eines umfassenden Informations- und Kommunikationssystems in den betroffenen Ländern."

Mehr Zeit gewinnen

Ziel der Experten in aller Welt ist also, durch Echtzeit-Erdbebenmonitoring-Systeme mehr Zeit zu gewinnen. Denn die bisherigen Benachrichtigungszeiten sind viel zu kurz. Ozeanboden-Druckpegel, im Meer verankerte GPS-gestützte Bojen und Küstenpegel-Stationen des neuen Tsunami-Frühwarnsystems sollen auftretende Seebeben erfassen. Sie messen den mit den Beben auftretenden höheren Wasserdruck und die stärkeren Wellenbewegungen.

Ein deutsches Forschungsschiff hat Mitte November die ersten GPS-Bojen vom indonesischen Hafen Jakarta aus in die Indische See gebracht. Die Sensoren der im Indischen Ozean ausgesetzten Bojen müssen einen außergewöhnlichen Anstieg des Meeresspiegels registrieren, andererseits aber den normalen Wellengang herausrechnen. Über Satellit fließen die so ermittelten Daten anschließend an einen Zentralrechner und werden als Echtzeit-Warnung an lokale Datenzentren in den betroffenen Ländern übertragen.

Die regionalen Rechenzentren in den betroffenen Ländern müssen allerdings noch aufgebaut werden. Sie werten die gesammelten Daten aus und alarmieren so schnell wie möglich die notwendigen Hilfs- und Rettungskräfte. Das TEWS-System ermöglicht nach Expertenangaben ebenfalls eine einfache Verknüpfung mit anderen weltweiten, regionalen und zukünftigen Systemen. Dazu zählen etwa das Global Geodetic Observing System (GGOS), das Global Ocean Observing System (GOOS) und das Global Climate Observing System (GCOS).

Eng verbunden

Um die Vorhersagequalität zu erhöhen, müssen die verschiedenen Messstationen eng miteinander verbunden werden. Auf Basis des seismologischen Forschungsnetzes soll es so zukünftig möglich sein, bereits innerhalb von dreizehn Minuten nach einem Ereignis alle beteiligten Institutionen zu benachrichtigen. Diese können die Menschen dann per SMS, E-Mail oder über Lautsprecher warnen.

Allerdings hatte auch das amerikanische Pacific Tsunami Warning Center beim verheerenden Seebeben vor einem Jahr eine Meldung zur erhöhten Alarmbereitschaft (Tsunami Watch) herausgegeben. "Es fehlte jedoch an funktionierenden Kommunikationsstrukturen. Es ist immer die Frage, wen warne ich, und was fange ich mit einer derartigen Warnung an", sagt Zeil. Deshalb wollen sich Wissenschafter seines Instituts jetzt im Rahmen eines EU-Projekts bei der Ausbildung der Kräfte vor Ort engagieren. (Johannes Klostermeier/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12. 12. 2005)