Hängt die Weltwirtschaft vom Wohlergehen einiger französischer Bauern ab? Dieser Eindruck entsteht vor dem Gipfeltreffen der Welthandelsorganisation (WTO) in Hongkong, das am Dienstag beginnt und an dem die Handelsminister von rund 150 Ländern teilnehmen werden.

Derselbe Eindruck entsteht aber auch bei der Europäischen Union in Brüssel: An beiden Orten legt sich Paris quer und bedroht mit Vetodrohungen die Beratungen, um die Subventionen für seine heimischen Bauern zu retten. Dabei stellen diese nicht einmal mehr vier Prozent der Bevölkerung.

Protektionismus

Französische Behördenvertreter führen als Grund für ihre protektionistische Politik gerne an, die Agrarausfuhren schlügen sich in der Außenhandelsbilanz mit einem Plus von acht Mrd. Euro (2004) nieder. Staatschef Jacques Chirac protegiert seine Bauernschaft aber nicht nur aus ökonomischen Motiven. Das einstige Agrarland Frankreich hängt nach wie vor an der "Scholle", an jener ländlichen Provinz also, wo das Leben noch in Ordnung ist und das Savoir-Vivre weiterlebt.

Franzosen hängen an diesem nostalgischen Bild, obwohl - oder weil! - es kaum der Realität entspricht: Ihre Landwirtschaft bleibt auch nach der EU-Reform der "Gemeinsamen Agrarpolitik" (GAP) geprägt durch Intensiv- und Massenproduktion. Verantwortlich dafür sind in erster Linie die großen Getreidelandwirte, die im französischen Bauernverband FNSEA den Ton angeben.

"Letzte sowjetische Berufsorganisation"

Diese "letzte sowjetische" Berufsorganisation, wie sich die Zeitschrift Le Monde diplomatique ausdrückt, kontrolliert die Nation via Wahlzettel: Da jeder zweite französische Parlamentarier einen ländlichen Wahlkreis vertritt, dürfte der FNSEA in der Nationalversammlung schätzungsweise 15 bis 20 Prozent "wiegen".

Vor allem aber hat der den Gaullisten nahe stehende Bauernverband einen sehr direkten Draht ins Elysée. Ex-Landwirtschaftsminister Chirac ernannte gerne FNSEA-Manager zu Vorstehern des Agrarministeriums, und noch heute kann er dem Verband nichts versagen. Abstriche an der GAP seien "nicht verhandelbar", meint er, seitdem er Ex-Bundeskanzler Schröder zur "Einfrierung" der Subventionen bis 2013 überredete.

Denn von der GAP profitieren Chiracs wichtigste Stützen, die Großbauern aus Zentralfrankreich und dem Pariser Becken. Frankreich erhält ein Viertel der GAP-Gelder, nämlich 9,4 Mrd. Euro (2004); davon wiederum kassierten die großen Getreidebauern fast die Hälfte, 4,5 Milliarden. Rekordhalter ist ein Agrarunternehmer mit einem europäischen Jahresbezug von 866.000 Euro.

So streichen die zwanzig Prozent der größten GAP-Bezieher in Frankreich fast zwei Drittel aller Brüsseler Agrarhilfen ein. Vielen Kleinbauern steht das Wasser trotz der GAP weiterhin bis zum Hals. Experten schätzen, dass unter dem Strich nur ein Viertel der französischen GAP- Nutznießer gut leben.

Festgefahrener Kurs

Das wäre gerade einmal ein Prozent der erwerbstätigen Landesbevölkerung. Für sie legt sich Frankreich in Brüssel und in der ganzen Welt quer. Der französische Dienstleistungssektor produziert hingegen vier Fünftel des nationalen Reichtums - und hätte alles Interesse an einem Fortschritt der Doha-Runde.

Trotz allem wahrt die FNSEA-Lobby so viel politischen Einfluss, dass an eine Änderung des französischen Kurses derzeit nicht zu denken ist. Zumindest nicht bis zu Chiracs Amtsende im Jahr 2007. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.12.2005)