Joey Goebel:
"Vincent"
Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog und Matthias Jendis. €20, 50/
434 Seiten. Diogenes Verlag, Zürich 2005

Buchcover: Diogenes
Dass in alternden Medienmogulen mit dem Spezialgebiet Schmutz, Schund und Tiefgang nur beim Niveau angesichts ihrer kürzer werdenden Tage oft der Gewissenswurm zu nagen beginnt, klingt für uns merkwürdig vertraut. Wegen der guten Nachrede wird hier dann nicht nur gern öffentlich die Kraft des Glaubens bemüht oder zumindest ein Heim für gefallene Hauskatzen gegründet. Der alte, todkranke US-Medienzar Foster Lipowitz, der die westliche Welt zeitlebens unter anderem mit schlechter Popmusik, noch mieseren Filmen und zynischen Fernsehserien überschwemmte, gibt sich überhaupt gleich noch reuiger und will dem kulturellen Verfall der Gesellschaft, den er mit seinem Lebenswerk entscheidend beförderte, etwas wahrhaft Gutes hinterlassen.

Lipowitz gründet eine Schule für hochbegabte Kinder, die dort zu begnadeten Künstlern ausgebildet werden sollen. Und wahre Kunst ist schließlich dazu da, die Welt zu einem schöneren Ort zu machen. Da aber gute Kunst unterstellterweise immer nur aus dem Leid entsteht, wird auch dem jungen Titelhelden Vincent, einer einfühlsamen, zarten Kinderseele, ein pädagogischer Begleiter beigestellt, der dem kleinen Mann nicht nur als Vertrauensperson dient.

Dieser Harlan ist auch dazu angehalten, dafür Sorge zu tragen, dass es Vincent immer schön schlecht geht. Er bringt Vincents Hund um und vergrault Vincents erste Freundinnen mit Bargeld. Einsamkeit gilt schließlich bis heute als unschlagbarer Musenkuss. Dann brennt auch noch Vincents Elternhaus ab - und überhaupt scheint bezüglich grässlicher Krankheiten wie Tuberkulose und Syphilis noch vor dem ersten Beischlaf alles dafür getan zu werden, dass Vincent aus dieser harten Schule die berührendsten Popsongs, Kurzgeschichten und Drehbücher entwickelt, seit die Verflachung unserer Kultur durch die Massenmedien in den Massenmedien beklagt wird. Am Ende steht Vincents Weg nach Los Angeles. Der Roman gipfelt im zum Klischee gewordenen Sündenbabel, über das selbst die apokalyptischen Reiter drüberpreschen könnten, ohne dass es hier auch nur einen teuflischen Filmproduzenten oder Rechtsanwalt nur ansatzweise umhacken würde.

Der in den USA völlig unbekannte 25-jährige Autor Joey Goebel aus einem Kaff in Kentucky war vor seiner schriftstellerischen Karriere jahrelang als Musiker einer Punkband unterwegs, kennt sich also mit schlechtem Geschmack bestens aus. Und der Ansatz, den Ich-Erzähler Harlan vom anfangs zynischen zum selbst mitleidenden wie selbstmitleidigen Chronisten zu machen, wäre auch nicht der schlechteste. Bloß der platte und so schon viel zu oft gelesene Schlussteil dieses dann stilistisch auch recht schlicht und deshalb nach drei Monaten auf dem Markt mittlerweile sehr erfolgreich auf junge Leser ausgerichteten Romans fällt so sehr ab, dass man um die weitere Entwicklung von Joey Goebel ernsthaft fürchten muss. Gerade wird sein erster Roman, Freaks , von Hollywood verfilmt. Die größten Kritiker der Elche werden schließlich selber welche?! (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.12.2005)