Zu den beliebtesten Weihnachtsbräuchen gehört es, Mistelzweige aufzuhängen - sei es, um damit nach heidnischer Tradition böse Hexen und Geister abzuwehren, sei es, um die darunter stehende Person küssen zu dürfen. In beiden Fällen dürfte es keine Rolle spielen, ob es sich bei dem Zweig um die "normale" oder eine Eichenmistel handelt, wobei Letztere in Österreich stark auf dem Vormarsch ist.

Bisher stellten Botaniker die Mistel (Viscum album) und die Eichenmistel (Loranthus europaeus, auf Deutsch richtiger auch Riemenblatt oder Riemenblume genannt) in eine Familie, doch jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass sich die beiden Pflanzen parallel entwickelt haben und deshalb in zwei verschiedene Familien zu stellen sind. Gemeinsam ist ihnen unter anderem, dass sie Halbschmarotzer sind, also ihren Wirtspflanzen Wasser und Mineralstoffe entziehen, in Baumkronen kugelförmig wachsen und im Winter fruchten.

Optische Unterschiede

Optisch allerdings zeigen sich schon auf den ersten Blick beträchtliche Unterschiede: So behält die Mistel rund ums Jahr ihre grünen, ledrigen Blätter, während die Eichenmistel ihre im Herbst abwirft. So sehen die verholzenden Äste wie ein Teil des Trägerbaums aus. Außerdem wachsen die ganzrandigen Mistel-Blätter gegenständig, die gebuchteten bis gezähnten Loranthus-Blätter wechselständig. Auch die Früchte unterscheiden sich deutlich von einander: Viscum-Scheinbeeren sind weiß, Loranthus leuchtend gelb bis orange - ein nahrhafter Blickfang für Vögel (in erster Linie Misteldrossel, Wacholderdrossel und Seidenschwanz), die für die Verbreitung der Samen zuständig sind.

Mittlerweile betragen die Zuwachsrückgänge in Eichenwäldern je nach Mistelbesatz zwischen 20 und 50 Prozent, stark befallene Bäume können sogar ganz absterben. Die Gehölze mit den dekorativen Früchten stellen also ein ernstes Problem dar, dem nicht so leicht beizukommen ist. Als Maßnahmen gegen die Eichenmistel haben sich bisher nur die mechanische Entfernung durch gezielten Rückschnitt der Eichen und die Entnahme besonders stark befallener Exemplare bewährt. Wie bei allen Misteln ist aber eine gewisse Radikalität nötig, denn die "Wurzeln" - korrekt: Haustorien, mit denen die Leitungsbahnen der Wirtspflanzen angezapft werden - können bis zu zwei Meter in den Baum hineinreichen.

Freude

Im Botanischen Garten der Universität Wien freut man sich trotzdem über das reiche Vorkommen der Riemenblume an den eigenen Eichen: "Die Früchte sind ein richtiger kleiner Exportschlager geworden", berichtet Gartenleiter Frank Schumacher, "denn kaum andere Gärten oder botanische Forschungseinrichtungen haben so leicht Zugriff zu den Scheinbeeren wie wir. " Und dass im Februar besonders viele Besucher in den Wiener Botanischen Garten strömen, liegt auch an den kleinen, gelben Kugerln, die auf weißem Schnee besonders auffallende Farbtupfer darstellen.

Medizinisch gibt die Eichenmistel allerdings wenig her - im Gegensatz zur Eichen-Mistel, also Viscum quercinum, die unter anderem bei Prostata-Karzinomen erfolgreich angewandt wird und seit der Zeit der Druiden als Mistel mit der stärksten Heilkraft gilt. (Marie-Thérèse Gudenus, DER STANDARD, Print, 24./25./.26.12.2005)