Vor einigen Wochen besprachen sich die Chefs eines großen ausländischen Industriekonzerns, der viel in Österreich investiert und viele tausend Beschäftigte hat, mit einigen Landespolitikern. Die Botschaft: Noch können wir unsere Beschäftigtenzahlen in Österreich halten, aber ewig nicht. Denn drüben in der Slowakei produziert unsere Branche viel billiger. Veit Sorger, der Chef der Industriellenvereinigung, sagt, auf das Problem der Abwanderung von Arbeitsplätzen in den Osten angesprochen: "2005 z. B. gab es keinen Abfluss von Arbeitskräften. Aber: Die Neugründungen finden nicht hier, sondern im Osten statt. In Österreich werden nur noch wenige Leute aufgenommen."

Der Chef des Wirtschafts- forschungsinstitutes, Karl Aiginger, verweist in einer Studie schlicht auf die Tatsache, dass Österreich an drei Seiten von Nachbarn umgeben ist, die dieselben Standardproduktionen weit kostengünstiger herstellen können. Die Krise der österreichischen Wettbewerbsfähigkeit ist noch nicht voll ausgebrochen, aber sie kündigt sich an, unter anderem in einer Rekordarbeitslosigkeit von 350.000, der noch weitere Rekorde folgen werden.

Der Schluss drängt sich auf, dass eine neuerliche "Wende" in der Wirtschaftspolitik notwendig wird. Sie könnte, um das vorwegzunehmen, wieder eine größere Rolle des Staates mit sich bringen. Die Regierung Schüssel hat, wertfrei betrachtet, eine echte Wende, einen Paradigmenwechsel herbeigeführt. Das Problem der Arbeitslosigkeit bzw. der Wandel in den Arbeitsverhältnissen - rasanter Anstieg der Teilzeitarbeit und der "Scheinselbstständigen" - wurde ignoriert, von manchen sogar mit heimlichem Wohlgefallen. Der Schwerpunkt lag auf "Kürzungsreformen": Nulldefizit, Erhöhung und Neuerfindung von massenwirksamen Abgaben, Pensionskürzung. Außerdem wurden Staatsbetriebe privatisiert. Man kann gegen diesen Kurs viel einwenden - vor allem, dass er echte Kaufkraftverluste für die Massen brachte -, aber das grundsätzliche Ziel, die Staatsausgaben in den Griff zu bekommen, ist berechtigt.

Der springende Punkt ist aber, dass diese Kürzungsreformen völlig irrelevant waren, was die drohende Arbeitsplatzkrise durch die osteuropäische Konkurrenz betrifft. Die Regierung Schüssel hat auf diesem Gebiet praktisch nichts getan, wie ihr Aiginger kürzlich bescheinigte. Aber was hätte sie tun können? Die einzige Antwort, die allen Experten einfällt, ist Höherqualifizierung. Die Volkswirtschaften des "alten" Europa müssen sich insgesamt durch Investitionen in Bildung, Ausbildung und Forschung "upgraden", der einzelne Arbeitnehmer muss es individuell tun.

Die Skandinavier sind diesen Weg relativ erfolgreich gegangen - allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass sie es nur mit einem hohen Steuerniveau und einer relativ hohen Staatsquote tun konnten. Sie steckten einen ungleich höheren Anteil der Staatseinnahmen in Bildung, Technologie und Forschung. Sie betrieben Staatsinterventionismus, staatliche Industriepolitik, strategisches Investment der öffentlichen Hand - alles verpönte Begriffe, zumindest in der (noch) herrschenden Wirtschaftsphilosophie. Wenn aber die Krise der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs (und eines Großteils des "alten" Europa) so ernst ist, wie es scheint; wenn die Antwort "Höherqualifizierung" lautet (wobei die Chinesen und Inder bereits massiv auf ebendiese setzen); dann liegt der Schluss nahe, dass dies nicht von privat allein, sondern durch mehr Staat zu finanzieren sein wird. ( Hans Rauscher , DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7./8.1.2006)