Foto: quelle.at
Lange war er der beste Spiegel unserer Warenwelt. Im Zeitalter von Ebay und Internetshopping erscheint der Quelle-Katalog aber anachronistisch. Die Literaturwissenschafterin Barbara Vinken hat das neueste Exemplar rezensiert.

Es gibt ihn noch, den Quelle-Katalog. Das ist weniger beruhigend als überraschend. Er ist schwer und wiegt gut und gerne so viel wie ein Laptop. Er ist aber wesentlich weniger einsatzfähig und allein deswegen absolut transportungeeignet. Aber das macht nichts, denn er ist dazu bestimmt, zu Hause, nicht in Muße, sondern wohl mit einem etwas ängstlichen Begehren durchblättert zu werden - ob man sich alles leisten kann, was man will, ob man zu viel bestellt.

Der Quelle-Katalog bringt die Welt ins Haus, das man, so ausgerüstet, nur noch virtuell verlassen muss. Er verspricht der Kleinfamilie, dass all ihre Träume wahr werden und jedes Begehren restlos gestillt wird. "Machen Sie es sich zu Hause gemütlich, blättern Sie durch Ihren neuen Quellekatalog und erfüllen Sie sich alle Ihre Wünsche", verspricht der Vorstandsvorsitzende im Klappentext. Das Titelbild evoziert entspanntes Familienglück: Mutter und Tochter, blond und blauäugig, mit weißen, makellos gerichteten oder mit Vernierschalen versehenen Zähnen und von der Sonne gesträhnt aufgehelltem lockigen Haar, strahlen einen vom Cover an. Beide sehen aus wie eine deutsche Hausmarke, Nivea etwa oder Brandt-Zwieback, glücklich, gesund und so vertraut.

Zum Glück der gesunden Familie gehören mittlerweile nicht nur der Hometrainer, das Poolbillard und Küchen mit drei Jahren "Vollgarantie", sondern auch ein funktionierendes Sexleben - unter der Rubrik "living", gleich vor den "Tafelfreuden fürs Fest". Wenn die Silikon-Ölkissen für nur 27,99, die - "vorher/nachher" - ein "super Decolleté" herstellen oder das "Straps-Hemd mit String", auch extrem preisgünstig, wenn das "Fessel-Set, 11-teilig" ausgedient haben, gibt es auch etwas für einsame Spiele, in denen allerdings das Unheimliche in die häusliche Sphäre einzubrechen droht: Love-Dolls, aufblasbare, lebensgroße Puppen, für deren "hochwertige Qualität mit Haaren" - zwecks Jugendfreiheit mit einem schwarzen Karree abgedeckt - man etwas tiefer in die Tasche greifen muss.

Die Dildos in allen Größen, Formen und Farben werden mit der gleichen klinischen Sachlichkeit beschrieben wie die Spülmaschine: "Wasserfest" kommen sie etwa mit "links/rechts Rotation," mit "7 verschiedenen Einstellungen" oder können, das ist dann billiger, nur auf und ab bewegt werden.

Die Quellewelt teilt sich in Mode, Living und Technik und bietet "die besten Trends zu den besten Preisen" an. Ein Preis-Leistungs-Verhältnis, das stimmt, ist vielleicht die Hauptsuggestion, die der Katalog aufbauen möchte.

Ladies first, und so beginnt man mit der Damenmode. Die versprochenen Modetrends kann man beim besten Willen nicht ausmachen. Auch nach dem Durchblättern hat man nicht den blassesten Schimmer, was die Farben der nächsten Saison, die Schnitte oder der Look sein werden. Da man auch nicht so genau erkennen kann, was auf dem Foto drauf ist, bedarf es der seltsam redundanten Präzisierung: "Trägertop mit Golddruck und Pailletten". "Aufwändige Pailletten- und Perlenstickerei".

Rätselhaft muss dem Betrachter auch bleiben, warum die offenen Schuhe fast durchgehend eine Nummer zu groß sind und deutlich über die Ferse stehen. Die Sexyness des weiblichen Körpers reduziert sich auf den "knackigen Po" - einzig er wird im Wort erwähnt und in Großaufnahme ins Bild gestreckt. Auch das ein eigenartiger Anachronismus, der an die Zeit erinnert, als man mit Jeans noch in die Badewanne stieg. Die Bauchbegeisterung - wahrscheinlich zu modisch anzüglich - ist an Quelle spurlos vorbeigegangen.

Grundsätzlich scheint es nicht um Mode, sondern um Fernweh zu gehen. Von zu Hause entrückt, sind diese Frauen Quelle und Karstadt, Fußgängerzonen und Bürohochhäusern, Penny und Aldi enthoben. Glücklich mit von einem Studioföhn wehenden Haaren und zu viel Lipgloss lächelnd, sind sie in einer merkwürdig anachronistischen Technik vor tiefblauem Himmel in kalifornischer Wüste, vor Palmen am weißen Sandstrand, auf einem südlichen Früchtemarkt oder atlantisch anmutender Felsenküste mit weißem Schaum in bizarrer Schematik geschnitten. Fleisch werden tun sie nicht.

Das unübersehbare Hereinschneiden des Studiofotos in eine Landschaftskulisse macht die Körper zweidimensional; zweidimensional wie Kulissenbilder wirken auch die Landschaften. Gesicht und Models erstarren mit ihren frisch aus irgendeinem drittklassigen Model-Studio einstudierten Posen zum Schema, ohne dass man ein Individuum wiedererkennen würde. Nichts, kein Muttermal, keine Sommersprosse, individualisiert diese gleichmäßig gebräunten, plastikartigen Körper, nichts diese Gesichter, deren Mimik entweder in einem Lächeln oder einer verrucht wirkenden Pose erfroren ist. Landschaft und Frau sind zum Klischee erstarrt. Aber genauso wenig wie diese Körper zum Anfassen sind, sind es die Stoffe. Einen Hauch von sinnlicher Anmutung erreicht einzig die billig glänzende Playboy-Bettwäsche in Weiß und Rosa mit Häschen.

Diese vollkommene Gleichgültigkeit allen ästhetischen Fragen gegenüber, die die bessere Modefotografie ins Bild setzt, könnte zu einer gewissen subversiven Ästhetik, Arte povera oder Ähnlichem führen. Davon jedoch kein Hauch. In der Quellewelt gibt es Ästhetik einfach nicht.

Während die Frauen im Zeichen der Exotik auf eine begehrenswertere Welt verweisen, in der sie sich domestiziert und vor allen Dingen niemals extravagant inszenieren, haben Männer Maschinen dabei. Sie stellen nicht einfach das Motiv: Frau in Landschaft, sondern bewegen sich aktiv auf Vespas oder Segelbooten. Sie tragen Freizeithemden mit Streifen und Wendewesten, eher praktisch natürlich als schön. Sie gehen - aus zweiter Hand - mit "Explorer" auf Entdeckungsreisen und sind nett und cool.

Irgendwie gehört diesen Pionieren die Welt, von Melbourne bis Las Vegas, jedenfalls auf Shirts, die sie kaufen sollen. Sie bilden meistens eine Mannschaft und haben als Globetrotter zusammen unheimlich viel Spaß. Vielleicht liegt es daran, dass sie das meiste gleich in "Mehrfachpackungen zu Supersparpreisen" kaufen können. Wenn sie arbeiten - "Berufskleidung" für Frauen gibt es bei Quelle nicht -, dann sieht es eher aus, als ob sie im Dreiteiler in einer italienischen Stadt flanierten. Auch sie lächeln unermüdlich und zeigen dabei die obligatorischen weißen Zähne. Die Mädchen haben blonde Locken und reiten, die Burschen tragen XXL. Alle sind glücklich, gesund und sportlich.

Das Auffälligste am Quellekatalog ist der so radikal gegen alle Trends gehende weit gehende Verzicht auf Lifestyle-Werbung und das Beharren auf Produktwerbung. Man erstickt, ertrinkt, verzweifelt ob der Massen von Sachen, die man alle nicht will, die aber mitleidlos unbarmherzig mit einer grotesken Detailfülle auf einen einstürzen: sich über Seiten hinziehende Fotos von "rundumgestützten Miederhosen", von Einbauküchen, Matratzen, Gardinen und Couch-Überwürfen, bordeaux, mit Schleife: "Ihr Mann wird denken, er hat sich in der Wohnung geirrt." Notdürftig dazwischen einmal hin und wieder eine Interieurszene: strickende Mutter mit malendem Kind, Spagetti essende Familie.

All die Waren, die man so unglaublich günstig zu irgendwelchen Supersparpreisen erwerben kann - "Teilzahlung, schon ab 15 Euro monatlich" -, versprechen, das Leben so zu machen, wie es nicht ist, dass alles gut wird, weil es anders wird. Chiffre dieser Andersheit ist die Exotik, aber auch "Komfort" und "Gemütlichkeit" zu Hause. Hinter den Billiggardinen, die so aussehen sollen wie Stores einer Landvilla, leuchtet nicht das hässliche Haus von gegenüber, sondern verheißungsvoll ein unbestimmt weiter, grüner Park. Die Quelle-Kundin kauft sich damit ein Bild von sich selbst, aber nicht, um sie selbst zu sein - das versprechen Ikea und Jil Sander - sondern um so zu sein, wie sie glaubt, die anderen denken, dass sie sein soll.

Dieses verzweifelte Begehren nach Konformität, das auf gar keinen Fall Trends setzen, sondern bestenfalls kostengünstig unauffällig im Trend sein will, dieses aussichtslose Ringen um die Norm, die als schon erstarrt tote in den Bildern ohne jede Ästhetik aufscheint, macht das Durchblättern des Quellekatalogs zu so einer abgrundtief traurigen Angelegenheit. In ihr ist der Kunde schon sich selbst zur Ware geworden, erstarrt zum Klischee. Es wird gar nicht mehr angestrebt, die trostlose Hässlichkeit zu verbergen. Es gibt ihn noch, den Quelle-Katalog, aber hoffentlich nicht mehr lange. (Der Standard, Printausgabe 7./8.1.2006)