Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war am Wochenende. Beim Ausmisten eines Dachbodens. Eine Erbschaftsgeschichte. Und weil wir uns über die Frage, ob Groschenromane Bücher sind und deshalb nicht ins Altpapier dürfen, nicht einigen konnten, beschlossen wir das zu tun, was auch in der wirklich wichtigen Welt getan wird, wenn keiner weiter weiß: Wir gründeten einen Arbeitskreis.

Deshalb habe ich jetzt alte Bastei-Hefte auf jenen Bücherstoß mit der imaginären Aufschrift „diese Bücher würde ich eigentlich gerne lesen, aber ich komme eh nicht dazu“ gestapelt, der das ganze Jahr über wächst - und nur im Krankheits- oder Ferienfall schrumpft.

System

Egal. Ich ging die Sache systematisch an. Und ließ die Ware wirken: Bastei-Heftchen haben einen Geruch. A. meint, dass das Moder, Staub und Mief sei, aber ich ignoriere das: Jemand, der sich weigert, Wallace-Romane auf den eigenen Bettbücherberg zu legen, hat kein Recht über G-Man-Hefterln zu sagen, Schundromane erkenne man an ihrer Dicke.

Für mich riechen Jerry Cotton-Hefte nach früher. Weniger nach Oma, Onkel oder Schrebergarten, als nach frühpubertären Mutproben: In Favoritner Romanschwemmen stöberten wir zuerst in den Krimis – um uns dann an die Magazine mit den nackten Frauen heranzutasten. Bis uns die Verkäuferinnen rauswarfen. Oder bis uns die Verkäufer augenzwinkernd (und zum dreifachen Preis) fleckige Mayfair-, Hustler- oder Penthouse-Heftchen überließen.

Haptik

Die Haptik der Agentenhefte kannten wir aber von den verregneten Tagen in kleinbürgerlichen Wochenenddomizilen: Sogar als die Hefte keine 35 Jahre am Buckel hatten, griffen sie sich nach vorgestern an. Das Papier war immer gelblich – und schon damals faszinierten mich die kernig-kurzen Namen, die Übereinstimmung von Physiognomie und Charakter und die Ein-Satz-Absätze: Irgendwann begann fast jeder zu lesen.

Freilich: Die Poesie der Titel blieb mir als Teenager verborgen. Über „Das Grauen geht auf große Fahrt“, „Der Teufel machte Überstunden“ oder „Der Satan füttert sie mit Gift“ traut sich heute keiner mehr – ganz zu schweigen „Die Pest aus den Slums“ oder „Rendezvous mit heißem Blei“: Kein „best of“, sondern bloß der oberste Teil der willkürlich gegriffenen Hefte, die ich bis irgendwann gelesen haben soll. Für den Arbeitskreis.

Textprobe

Immerhin habe ich „Das Grauen“ begonnen: „Wir saßen in einem Drugstore, den ich bereits beim Anmarsch kurz vor dem Eingang der Werft entdeckt hatte. Hinter der Theke spülte eine schwarzhaarige Mestizin Gläser. Ihr Gesicht war starr und ledern. Sie sah aus, als sei sie als Mumie in die Staaten eingeschleust worden. In der Ecke schwieg eine Musicbox.“ Ein Traum – und im Kopf wird die Lesestimme sofort zu jener aus den uralten, schwarzweißen Cotton-Filmen. (Der Jaguar war übrigens rot – auch in Schwarzweiß)

Das schönste an den Heften liegt aber abseits der Geschichten: Die Inserate auf der Ummantelung haben über die Jahre nichts verloren: Aufblasbare Puppen, Muskelpräparate, Abstehende-Ohren-Korrektur-Rezepte, Tattoo-Entferner, Superjobs, Detektiv-Kurse, Selbstbräuner, „Massagestäbe“, Zahnweißwundermittel, Röntgenbrillen – und noch viel mehr. Die Lösung aller D-Schicht- Nöte, -Sorgen und –Wünsche. Gegen ein paar Briefmarken in einem Kuvert: Die Welt ist so simpel wie ein Fall für den G-Man. (wofür steht das eigentlich?)

Und heute?

Damals, vor Jahrzehnten, habe ich nie gewagt, mir ein Anti-Sommersprossen-Mittel aus dem Heft zu bestellen. Gestern wollte ich es tun. Aber die unter „für Informationen“ angeführten Telefonnummern existieren alle nicht. Auch die Romanschwemme gibt es nicht mehr. Und als heute ich in der Trafik nebenan den neuesten Cotton verlangte, lachte mich der Trafikant aus - und fragte, aus welchem Jahrhundert ich eigentlich käme.