Bild nicht mehr verfügbar.

Alles aus Zitronen...

EPA /PATRICE LAPOIRIE
Zitronen, Zitronen, Zitronen, wohin man blickt Zitronen. Dann Orangen und Clementinen, Grapefruits, Bergamotten und viele andere Früchte, die zu identifizieren wir erst in einem Spezialbuch nachschauen müssten. Hier stehen Straßenmusikanten, aus goldenen Orangen zusammengesteckt, dort streckt eine Windmühle ihre Flügel in den Himmel, nur aus Zitronen gestaltet.

Das große Zitronenfest, das im Februar tausende von Besuchern nach Menton an die Côte d'Azur lockt, bekommt jedes Jahr ein neues Motto, heuer wird es Brasilien sein. Tatsächlich verdankte die Stadt am östlichen Ende der Côte d'Azur, unmittelbar vor der italienischen Grenze, für Jahrhunderte Ruhm und Wohlstand den Zitronen.

Im Schutz der hier bis fast ans Meer heranreichenden Seealpen rühmt sich die Stadt des mildesten Klimas der Côte d'Azur, wo sogar Zitronenbäume gedeihen, denen bereits Minustemperaturen von nur drei Grad den Garaus machen. Ein paar Winter, in denen solche Temperaturen Ende des 19. Jahrhunderts herrschten, und mit der Herrlichkeit der sauren Früchte war es vorbei. Menton hat sich davon nicht mehr erholt, seitdem ist Sizilien unbestritten "das Land, wo die Zitronen blüh'n".

Nicht mehr sauer

Die Menschen in Menton haben es verwunden, so wie sie es geschluckt haben, dass ihre Stadt 1860 aus der Beschaulichkeit der Zugehörigkeit zum Fürstentum Monaco von Frankreich herausgekauft wurde. Das extrem milde Klima lässt natürlich immer noch reichlich Zitronenbäume auf den Hängen gedeihen und auch im Winter Ferienstimmung aufkommen. Als es mit den Zitronen als Wirtschaftsgrundlage vorbei war, kamen Ende des 19. Jahrhundert englische Aristokraten. Geplagt vom Rheumatismus, fanden sie hier ihr nebelfreies Paradies. Sie blieben nicht lange allein. Aus Deutschland und Österreich, vor allem aber aus Russland kamen wohlhabende Klimaflüchtlinge, bauten prachtvolle Villen und prägten die Atmosphäre, ähnlich wie ihre Artgenossen in Nizza. Nur blieb Menton intimer und überschaubarer.

Der frühere aristokratische Glanz zeigt sich heute vor allem auf dem alten Friedhof von Menton. Entsprechend der Vielzahl russischer Sommerfrischler oder Dauergäste finden sich hier viele Gräber großer russischer Fürsten. An anderer Stelle stehen wir vor den Gräbern des Onkels und der Tante des amerikanischen Präsidenten Roosevelt. Und mit dem Bild, das die Orte an der Côte d'Azur heute bieten, ist der uns auf einem Grabstein begegnende Name Georg Tersling untrennbar verbunden. Der dänische Architekt entwarf Anfang des 20. Jahrhunderts zahlreiche Villen und Paläste an der Riviera.

Von der Südspitze des Friedhofes haben wir den schönsten Blick über die Altstadt, über den Hafen zur Landzunge Cabo Mortola in Italien auf der einen und dem Cap Martin auf der anderen Seite. Die Altstadt von Menton sei das Schönste, das sie je gesehen habe, notierte 1920 die neuseeländische Schriftstellerin Katherine Mansfield in ihr Tagebuch. Mansfield hielt sich ein ganzes Jahr in Menton auf und schlenderte täglich durch die Markthalle, einen faszinierenden Jugendstilbau mit überbordendem Angebot von südländischen Früchten.

Künstlerbastion

Eng verbunden mit Menton ist auch Jean Cocteau. Seit 1957 war ein aus dem 17. Jahrhundert stammendes Fort, die so genannte Bastion am alten Hafen, der Ort des künstlerischen Schaffens des Meisters. Er selbst hat die Umwandlung der Bastion in ein Museum veranlasst und den Hochzeitssaal im Rathaus bemalt, hat sogar das Mobiliar ausgewählt.

Die Zitronenstadt ist berühmt für ihre Gärten, kein Wunder, gibt es doch dank des besonderes Klimas kaum eine Südpflanze, die hier nicht gedeiht. Um alle Parks der Stadt zu erleben, braucht man Tage, denn fast alle sind nur im Rahmen von Führungen zu bestimmten Zeit zugänglich. Da ist etwa der Jardin de Maria Serena, er soll der Garten mit dem mildesten Klima Frankreichs sein. Alle Fantasie gartenbegeisterter Besitzer - zunächst betuchte Engländer, dann die Wissenschafter des Naturkundemuseums von Paris - hat sich mit dem besonderen Klima vereinigt, um den Jardin du Val Rameh zu schaffen. Was immer irgendwo auf der Welt an Zitrusfrüchten gedeiht, ist hier zusammengetragen. Das Schöne an diesem weitläufigen Park: Er ist jederzeit frei zugänglich.

Mitten in der Stadt, in der Achse des vom Casino geradewegs auf die Alpenberge im Hintergrund zulaufenden Carei-Tales, erstreckt sich der Jardin Biovès. Palmen, Zitronenbäume, Blumenbeete, die das ganze Jahr von Blüten übersät sind, Brunnen und Statuen werden in diesen Wochen ganz in die Zitruspracht des großen Festes einbezogen. Hier setzt sich am letzten Tag des Festes der große Umzug durch die Stadt in Bewegung, mit zahlreichen Schauwagen, deren Schmuck eben aus nichts anderem besteht als aus Zitronen und Orangen. (Der Standard, Printausgabe 14./15.1.2006)