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Freude bei den Anhängerinnen der Sozialistin Bachelet.
Foto: AP/SANTIAGO LLANQUIN

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Michelle Bachelet bei der Siegesfeier mit ihren Töchtern Sofia (links) und Francisca (rechts).
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Santiago/Montevideo - Erstmals ist in Chile eine Frau zur Staatschefin gewählt worden. Bei der Stichwahl um die Präsidentschaft setzte sich am Sonntag die Sozialistin Michelle Bachelet mit 53,5 Prozent gegen den rechten Unternehmer Sebastián Pinera, der auf 46,5 Prozent kam, durch - deutlicher als erwartet.

Am frühen Abend versammelten sich tausende Anhänger Bachelets singend, tanzend und Fahnen schwenkend in der Innenstadt von Santiago. Pinera gratulierte persönlich und sprach von einem Erfolg der Frauen, die den ihnen gebührenden Platz in der Gesellschaft errungen hätten. Zum vierten Mal seit dem Ende der Diktatur unter Augusto Pinochet (1973-1990) siegte am Sonntag das Bündnis Concertación, das Sozialisten, Sozialdemokraten und Christdemokraten umschließt. Die 54-jährige gelernte Kinderärztin übernimmt am 11. März die Amtsgeschäfte von ihrem Parteigenossen Ricardo Lagos. In einer Rede vor ihren Anhängern verpflichtete sich Bachelet, bis zum Jahr 2010 ein soziales Netz aufzubauen, das die Härten des neoliberalen Wirtschaftsmodells abfedert. Außerdem kündigte sie einen neuen, partizipativen Politikstil an und versprach, mehr Frauen ins Kabinett zu holen und Umweltaspekte stärker zu berücksichtigen. "Ich werde sagen, was ich denke, und tun, was ich sage." Signal in Lateinamerika Pinera kündigte eine "entschlossene und konstruktive Opposition" an. Er werde die Arbeit der Regierung mit Argusaugen überwachen, sagte der Milliardär von der rechtskonservativen Nationalen Erneuerung (RN) unter Anspielung auf vergangene Korruptionsskandale in der Concertación.

Bachelets Sieg setzt ein Zeichen für die Wahlen, die in den kommenden Monaten in Lateinamerika bevorstehen. Sie steht im ideologischen Spektrum Chiles links, ist eine Frau und keine Vertreterin der politischen Oligarchie, sondern jemand aus dem Volk. Und sie symbolisiert als Tochter eines unter Pinochet zu Tode gefolterten oppositionellen Generals die Aussöhnung eines gespaltenen Landes - Faktoren, die schon bei der Wahl des indigenen Kokabauern Evo Morales in Bolivien eine Rolle spielten und auch in anderen Ländern wie Peru, Brasilien, Mexiko, Nicaragua und Ecuador den Wahlkampf beeinflussen werden.

Ein Vorteil für die neue Präsidentin wird sein, dass die Concertación erstmals in beiden Parlamentskammern die Mehrheit der Abgeordneten stellt. Chile mit einer Wachstumsrate von zuletzt knapp sechs Prozent gilt als wirtschaftlich aufstrebendes Land und hat die Armutsrate von 45 Prozent zu Diktaturzeiten auf 19 Prozent reduziert.

Bachelet ist eine intelligente Teamchefin, doch an politischer Erfahrung mangelt es ihr. Erst vor sechs Jahren holte Lagos sie als Gesundheitsministerin in sein Kabinett. Die dreifache, allein erziehende Mutter ist aber jemand, der den Wunsch der Chilenen nach Wandel verkörpert. Exil in Ostdeutschland 2002 wurde sie Verteidigungsministerin mit der Vorgabe, die belasteten Beziehungen zwischen Militär und Zivilgesellschaft zu normalisieren.

Bachelet war mit der Welt der Militärs aufgewachsen, gleichzeitig war sie jedoch deren Opfer geworden. Ihr Vater brachte es unter Präsident Salvador Allende zum Luftwaffengeneral. Als sie 22 Jahre alt war, kam es zum Putsch. Alberto Bachelet starb in Gefangenschaft, Bachelet und ihre Mutter kamen nach einigen Monaten frei und gingen 1976 ins Exil, nach Australien, dann nach Ostdeutschland. 1979 kehrte sie nach Chile zurück, bekam zunächst aber aus politischen Gründen keine Stelle. "Ich weiß, dass ich alle Todsünden begangen habe", erklärte die Agnostikerin den Generälen, als sie zu deren Chefin wurde, "aber wir werden trotzdem gut zusammenarbeiten". Sie nahm Paraden ab, zwängte sich in Panzer und flog in Jagdflugzeugen mit. Fragen zur Menschenrechtspolitik weicht sie aber aus: "Die Wunden und Narben der Diktatur werden immer bleiben, und wir müssen lernen, mit ihnen zu leben." (DER STANDARD, Print, 17.1.2006)