Hans Hermann Groër

foto: standard/newald
Das Schweigen Groërs zu späteren Missbrauchsvorwürfen steht bis heute exemplarisch für innerkirchliche Problembewältigung.

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Wien - Die Weichen für die wohl größte Nachkriegskrise der katholischen Kirche in Österreich wurden an einem heißen Sommertag gestellt. An den Folgen der Nachricht, die am 18. Juli 1986 Österreichs Katholiken erreichte, laboriert die Kirche heute noch.

An diesem Tag im Jahr 1986 ernannte Papst Johannes Paul II. überraschend den weit gehend unbekannten Theologen und Benediktiner-Pater Hans Hermann Groër, Wallfahrtsdirektor von Maria Roggendorf (NÖ) und Gründer der Laienorganisation "Legion Mariens", zum Erzbischof von Wien - und somit zum Nachfolger des charismatischen und beliebten Kardinals Franz König.

Die Ernennung des fundamentalistischen Ordensgeistlichen und glühenden Marienverehrers sorgte von Anbeginn für Kritik, wenn auch zunächst nur hinter vorgehaltener Hand. Mit der Ernennung von Kurt Krenn, Professor an der Uni Regensburg, im März 1987, vorerst zum Weihbischof Wien, wurde kurz darauf der Graben zwischen Amtskirche und Basis noch tiefer. An der zu erwartenden Erhebung Groërs in den Kardinalsstand im Mai 88 ändert dies aber nichts.

"Bester Freund"

Sieben Jahre später sollte das dunkelste Kapitel in der Geschichte Groër aufgeschlagen werden. Eingeleitet wird es von ihm selbst. Der Gottesmann, der keine Kritik duldete und jenen "Vater, Mutter und bester Freund" (Groër) war, die sich ihm vollständig unterwarfen, bekräftigte in der Fastenzeit 1995 erneut das kirchliche Kommunikationsverbot für wiederverheiratete Männer - angereichert mit einem Bibelzitat: "Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder werden das Reich Gottes erben."

Die Schweigemauer zerbarst: "Outing eines ehemaligen Lustknabens", unter diesem Titel wandte sich der ehemaligen Groër-Schüler im Hollabrunner Knabenseminar, Josef Hartmann, an das profil. Mit der Aussage "Groër hat mich sexuell missbraucht" war ein Flächenbrand (Bischof Weber) in der gesamten österreichischen Kirche entfacht, der über Jahre durch das Schweigen sowohl von Groër als auch vonseiten des Vatikans genährt wurde. Hartmann blieb nicht der einzige Zeuge, 1998 werden neue Vorwürfe publik.

Die Antwort des Kirchenvolkes fiel heftig aus: Die Zahl der Kirchenaustritte schnellte drastisch in die Höhe - und wird über die Jahre auf diesem Niveau bleiben. Kurz flackerte auch so etwas wie Hoffnung auf, Kirche könne von "unten" geändert werden: Die Plattform "Wir sind Kirche" ruft das Kirchenvolksbegehren ins Leben, 500.000 Gläubige setzten mit ihrer Unterschrift ein markantes Zeichen.

Bereits 1985 waren erste Gerüchte über sexuelle Belästigungen durch Groër, der damals noch dem Hollabrunner Knabenseminar vorstand, aufgetaucht. Der Göttweiger Pater Udo Fischer berichtete seinem Abt Clemens Lashofer über "eigenartige Erzählungen von Studierenden". "Ich habe mir damals schon gedacht, dass da etwas nicht stimmt. Dem Abt war die Suppe aber zu dünn", erinnert sich Fischer.

Innerkirchlich kehrt man den Skandal unter den Teppich: Groër hüllt sich in Schweigen, Kurt Krenn, mittlerweile Diözesanbischof von St. Pölten, sieht in den Vorwürfen nur "Hollabrunner Lausbubenstreiche". Der tiefe Fall war aber nicht zu stoppen: Im April 1995 tritt Groër als Vorsitzender der Bischofskonferenz ab, Schönborn wird kurz darauf vorerst Erzbischof-Koadjutor. Am 14. August gibt der Skandal-Kardinal seinen Rücktritt bekannt, Schönborn wird neuer Erzbischof.

Nur ein Jahr später kehrt Groër als Prior des Benediktinerklosters in Maria Roggendorf zurück, stolpert 1998 aber erneut über Missbrauchsvorwürfe. Während Groër weiter eisern schweigt, bestätigen im Februar desselben Jahres die Bischöfe Schönborn, Eder und Kapellari, dass sie "zur moralischen Gewissheit" gelangt seien, dass die Vorwürfe gegen Groër im "Wesentlichen zutreffen". Die Causa Groër findet ihr Ende im April: Papst Johannes Paul II. kündigt eine Lösung an, "die von Gerechtigkeit und Liebe getragen ist".

Groër gibt auf "Bitte des Heiligen Vaters" seinen bisherigen Wirkungskreis auf und zieht sich in das Zisterzienserinnenkloster Mariendorf zurück. Am 23. März 2003 nahm der 83-Jährige die Vorwürfe mit in den Tod. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2006)