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Verheddern in der Diktatur: Der Filmregisseur István Szabó spitzelte für den ungarischen Geheimdienst.

Foto: APA/EPA /Nestor Bachmann
Der ungarische Filmregisseur und Oscar-Preisträger István Szabó hat am Freitag seine am Tag zuvor bekannt gewordene Informantentätigkeit für den ungarischen kommunistischen Geheimdienst nicht geleugnet. "Es war die mutigste, kühnste Tat meines Lebens", erklärte er in der Budapester Tageszeitung Népszabadság. Durch sie hätte er das Leben eines Freundes gerettet, der sonst wegen seiner Beteiligung am Volksaufstand von 1956 am Galgen geendet hätte.

Bislang hatte Szabó diese aus seiner Sicht ehrenhafte Episode aus den jungen Jahren allerdings wie ein Geheimnis gehütet. Der Regisseur porträtiert in seinen besten Filmen - "Oberst Redl", "Mephisto" und "Hanussen" - geniale Lebenskünstler, deren unstillbare Ambitionen sie dazu verleiten, sich in den Fäden einer diktatorischen Macht zu verheddern. Die Faszination dieser Werke besteht auch darin, dass sie nicht aus der überlegenen Position des Moralisten erzählt werden. Nun wurden 48 Spitzelberichte des Informanten "Endre Képesi" alias Szabó bekannt. Der Kritiker András Gervai veröffentlichte in der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung Élet és irodalom (Leben und Literatur) seine akribischen Recherchen im Budapester Historischen Archiv der Staatssicherheitsdienste. Der damals 19-Jährige wurde 1957 als Student der Theater- und Filmhochschule von der Abteilung "Abwehr der inneren Reaktion" angeworben, spionierte bis 1963 Mitstudenten und Lehrer aus. Den heute 84-jährigen Regisseur Miklós Jancsó denunzierte er etwa als jemanden, der "sich kleidet und frisiert wie ein anarchistischer Pubertierender" und bei dem sich "vom Marxismus über den Existenzialismus bis zu verschiedenen nationalistischen Gedanken alles vermengt".

Ob "Képesi" Menschen konkreten Schaden zugefügt hat, kann Gervai aufgrund der Quellenlage nicht beurteilen. Er verweist aber darauf, dass im repressiven Klima unmittelbar nach dem 56er-Volksaufstand "oft nur ein Satz, ein Wort, eine Geste genügten, um jemanden in Verdacht oder hinter Gitter zu bringen".

Die Enthüllungen machten erneut deutlich, dass Ungarn 15 Jahre nach der Wende noch immer keinen entkrampften Umgang mit dieser dunklen Seite der jüngsten Vergangenheit gefunden hat. Die Geheimdienst-Archive wurden - anders als etwa in Ostdeutschland - nie umfassend geöffnet. Es gab Durchleuchtungen von Parlamentariern und Journalisten, nicht aber von kirchlichen Würdenträgern.

Inzwischen besteht die Möglichkeit der Akteneinsicht für die Spitzelopfer - so fand der Publizist Paul Lendvai neulich heraus, dass ihn einst Freunde und Kollegen bespitzelten - und für Menschen mit plausiblen Forschungsvorhaben wie Gervai. (DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.1.2006)