Dorit Whiteman wurde im Juli 1924 in Wien als Dorit Bader geboren. Sie entstammt einer assimilierten jüdisch liberalen Familie, die im 1. Wiener Gemeindebezirk lebte. Ihr Vater, Edwin Bader, war praktischer Arzt. Die Mutter, Lilian Bader, gründete und leitete die Sternschule, eine Internatschule für wohlhabende Mädchen aus den ehemaligen Kronländern. Ein Jahr nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten musste die Familie emigrieren, 1939 flüchteten sie zunächst nach London und später weiter nach New York.

Das gesamte Hab und Gut der Familie ebenso wie die Schule der Mutter mussten den Nationalsozialisten überlassen werden. In New York studierte Dorit Whiteman Psychologie und begann später privat und an einem Krankenhaus in Queens zu praktizieren. Seit über 30 Jahren lebt sie in Kew Gardens, Queens. In den 1990er-Jahren begann sie eine wissenschaftliche Studie über Menschen, die dem Holocaust entfliehen konnten. Dabei konfrontierte sie sich erstmals selbst mit der eigenen Vergangenheit. Sie stieß auf reges Interesse und veröffentlichte 1993 das Buch Die Entwurzelten (Böhlau Verlag). Die so genannte Whiteman-Klage war über Jahre das letzte Hindernis für die Auszahlungen aus dem Allgemeinen Entschädigungsfonds an die rund 20.000 jüdischen Antragsteller. Sie wurde im November 2005 zurückgelegt. Whiteman erhielt wenig später eine Zusage für eine Entschädigungsleistung.

STANDARD: Worum geht es Ihnen in Ihrer individuellen Entschädigungsforderung an Österreich?

Dorit Whiteman: Ich hatte zwei Restitutionsforderungen: Eine betrifft die Internatsschule meiner Mutter, die nach dem Nationalsozialismus an die Stadt Wien oder an die Republik Österreich - ich weiß nicht mehr genau an wen - ging. Die andere Forderung betrifft das Wiener Dorotheum, das unsere Möbel und den Hausrat wie Geschirr, Teppiche, Lampen und vieles mehr 1939 von den Nationalsozialisten übernommen hatte. Ich versuchte per Sammelklage, eine angemessene Entschädigung vom Dorotheum zu erstreiten, aber diese Sammelklage wurde von meinem Anwalt im November 2005 zurückgelegt, weil die Republik Österreich bis zu diesem Zeitpunkt darauf beharrte, dass alle Klagen eingestellt sein müssten, bevor an die anderen Überlebenden ausgezahlt wird. Demnach werde ich also eine Entschädigung für den Verlust der Profession meiner Eltern bekommen.

STANDARD: Seit wann bemühen Sie sich um eine Entschädigung?

Whiteman: Es waren sehr viele Jahre. Ich weiß nicht mehr wie viele. Aber es ist ja nicht nur die Zeit, die man investiert. Es sind zahlreiche Anstrengungen, die über die Jahre sehr enervierend sind: Man musste ein Formular nach dem anderen einreichen, und es wurden uns immer neue Formulare zum Ausfüllen geschickt und noch mehr Beweise für den Besitz verlangt.

STANDARD: Ist so eine Entschädigung eine Wiedergutmachung, also auch ein persönlicher Schlussstrich?

Whiteman: Ich glaube nicht. Ich denke weiterhin an meine Eltern und an das, was ihnen gehörte - und da wird es nie einen Schlussstrich geben. Ich glaube, man kann keinen Schlussstrich unter die eigene Vergangenheit setzen. In der Sammelklage ging es mir um Gerechtigkeit. Ich verbinde die verlorenen Wertgegenstände und die Internatsschule meiner Mutter mit meiner Kindheit, und die ist bis heute ein Teil von mir. Als ich in den 1950er-Jahren einmal Wien und die Schule meiner Mutter besucht habe, waren noch viele dieser Wertgegenstände dort - Klaviere, alte Bilder und Möbel, so wie es meine Mutter bei unserer Emigration verlassen hatte.

STANDARD: Wäre das Geld für Sie persönlich eine symbolische Geste, oder würde es Ihnen konkret in Ihrer finanziellen Situation helfen?

Whiteman: Natürlich könnte man sich Dinge leisten, die man sich davor nicht leisten konnte. Wir leben nicht auf großem Fuß, aber wir sind auch nicht in finanzieller Not. Aber ich kenne, nicht zuletzt durch meine Arbeit für die Sammelklage, jüdische Emigranten, die das Geld aus dem Entschädigungsfonds sehr wohl dringend benötigen würden, weil sie alt und allein sind. Viele ihrer Verwandten sind durch den Holocaust in Konzentrationslagern getötet worden, und sie haben deshalb heute überhaupt keine Familie mehr.

STANDARD: Wenn das Geld auf dem Konto ist, was werden Sie machen?

Whiteman: Wenn das Geld überwiesen ist, werde ich es zur Seite legen, falls ich oder mein Mann krank werden oder es später irgendwie brauchen sollten. Vielleicht werde ich es auch für meine Kinder und meine Enkelkinder zurücklegen. Leider wurde noch kein Geld überwiesen. Ich weiß auch nicht exakt, wie viel ich schlussendlich bekomme, das hat mich am Brief des Nationalfonds verärgert. Es wird für meinen Fall eine Summe von 140.000 US-Dollar angegeben - und dann steht weiter, dass ich davon zehn bis 15 Prozent ausbezahlt bekomme. Diese Auszahlung beruht, wie der Fonds sagt, auf der Kalkulation des Verlustes, aber ich finde diese Zahlen etwas eigenwillig kalkuliert. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.1.2006)