Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war gestern. Und ging so schnell, dass ich erst nachher mitbekam, was da überhaupt passiert war. Aber da saß der Mann mit dem Lodenmantel und dem Gamsbart-Hut längst wieder auf seinem Sitz, las in seinem konservativen Qualitätsblatt und hatte die Frau mit dem Kinderwagen wohl schon wieder vergessen. Aber auch die Frau mit dem Kopftuch tat so, als wäre überhaupt nichts passiert.

Es war im Autobus. In einem „besseren“ Bezirk. Der Bus war zu einem Drittel gefüllt, fuhr an einer Haltestelle vor und die pummelige und halbverschleierte Frau im schwarzen Gewand schob ihren Kinderwagen zur Mitteltür. Ein zweites Kind trottete ein bisserl mürrisch hinterher.

Fahnenanzünder

Der Busfahrer ließ den Bus in die Knie gehen und die Muslimin schob den Buggy herein. Oder: Wollte ihn in den Bus schieben. Denn plötzlich stand da ein Mann in der Tür, stemmte die Arme in die Hüften und stellte einen Fuß auf die Fußraste des Kinderwagens. Dann zischte er die Frau an: „Solange unsere Fahne brennt, kommst du hier nicht rein.“

Ich war sprachlos. Und allem Anschein nach nicht nur ich: Die Frau schien gar nicht mit zu bekommen, was der völlig durchschnittlich wirkende Mann von ihr wollte, fragte, mit leichtem Akzent, „Fahrschein?“ – und begann an ihrer Tasche herumzunesteln. „Nix Fahrschein“, fauchte der Mann, „du nicht mitfahren. Weil Muezzin Österreichfahne verbrannt. Nix Moslems in Bus. Jetzt raus!“

Drehgriff

Die Frau machte Anstalten, den Kinderwagen aus der Tür zu ziehen. Aber da faltete der Lodenmantelmann seine Zeitung zusammen, legte sie auf den nächsten Sitzplatz, stand auf und schob sich („Sie gestatten?“) an mir vorbei. Dann drehte er dem Türblockierer in einer sehr schnellen, sehr unauffälligen und sehr schmerzhaften Bewegung das Handgelenk um und schob ihn aus dem Wagen: „Tut mir leid, aber ich kann unmöglich mit Menschen wie ihnen im selben Bus sitzen“ sagte er, verdrehte dem Überrumpelten das Gelenk noch ein bisserl weiter und schloß lächelnd: „Nehmen sie das ruhig persönlich.“

Danach hob er – mehr eine Geste – den Kinderwagen über den Spalt zwischen Bus und Gehsteig: „Ich muss mich für meinen Landsmann entschuldigen.“ Dann setzte er sich und schlug die Presse wieder auf. Das ging so schnell und unauffällig, dass weder der Busfahrer noch die nur etwas weiter weg sitzenden Fahrgäste etwas mitbekommen hatten: Für sie hatte da ein Mann einer Frau geholfen, den Wagen in den Bus zu heben – und ein Fahrgast war beim Aussteigen ein bisserl blöd im Weg herumgestanden.

Als ich später ausstieg, sah der Lodenmantelmann kurz von seiner Zeitung auf. Ich nickte ihm zu: „Danke.“ Er zuckte mit den Schulter: „Wofür? Irgendwann hört der Spaß ja wirklich auf.“