Einmal aufgenommen, schwächen die Gifte des Schimmelpilzes das Abwehrsystem des Körpers, schädigen Niere und Leber oder lösen sogar Krebs aus.

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Die giftigen Substanzen des Schimmelpilzes richten weltweit enormen Schaden an - und verursachen zum Beispiel Krebs. Verordnungen und Richtlinien sollen Menschen in Zukunft besser schützen. Die Forschung bemüht sich, innovative Methoden zu finden, um dem Problem Herr zu werden. Ein Zentrum der Wissenschaft ist im Technopol in Tulln entstanden.


Die Schuldigen hatte man schnell auserkoren. Hexen waren es. Ihretwegen wurden Menschen vom "heiligen Feuer" heimgesucht. Sie wurden zu Opfern, die "an ihren zerfressenen Gliedern verfaulten, die schwarz wie Kohle wurden", beschrieb Mönch Siegbert im Jahr 1098 die unselige Seuche. (Quelle: 3Sat). 600 Jahre später wüteten Christen zwar noch vehementer gegen die vermeintlich Dämonbesessenen - in Sachen "inneres Feuer" jedoch war man klüger: Das Mutterkorn - ein Pilz, der Gräser und Getreide befällt - ließ die Menschen sterben.

Mediziner und Experten sprechen von Mykotoxikosen. Während Stadtbewohner mit dem Begriff kaum etwas anfangen können, wissen Bauern und Viehzüchter genau, wovon die Rede ist: "Mykotoxine sind Stoffwechselprodukte von Schimmelpilzen, die für Tiere aber auch Menschen teils hochgiftig sind", erklärt Rudolf Krska vom Doppler-Labor für Mykotoxinforschung in Tulln. Dort sucht man nach Methoden, um die Schädlinge zu bestimmen und zu vernichten. Denn die US-Gesundheits- und Ernährungsbehörde (FDA) schätzt, dass in den USA die jährlichen Verluste in der Getreideproduktion 900 Millionen Dollar übersteigen.

Auf Mais, Weizen, Roggen, Nüssen, Pistazien vegetieren die kleinen Giftfabriken vor sich hin. Über 300 verschiedene Vertreter konnten die Experten identifizieren. Die meisten kommen in der Natur nur in Spuren vor. Doch die verbleibenden etwa 40 Pilzgifte haben es in sich. Mit bis zu meterlangen fragilen Schläuchen können sich die Schimmelpilze durch Stroh und Heu winden und verseuchen Ernte, Futter und Lebensmittel.

Einmal aufgenommen, schwächen ihre Gifte das Abwehrsystem des Körpers, schädigen Niere und Leber oder lösen sogar Krebs aus. Bis zu 25 Prozent der weltweiten Getreideernte seien kontaminiert, schätzt die amerikanische Landwirtschaftsorganisation FOA. Fast 60 Prozent Verunreinigungen ermittelte der Futterzusatzmittelhersteller Biomin aus Herzogenburg im letzten Jahr für Österreich.

"Wie genau diese Zahl die Lage wiedergibt, lässt sich nicht abschätzen", schränkt Gerd Schatzmayr von Biomin ein. Wann und wie heftig so ein Schimmelpilz sich auf den Feldern breit macht und vor allem, ob und wie seine Gifte Tier und Menschen schädigen, hängt von sehr unabwägbaren Faktoren ab: dem Boden, der Witterung gerade während der Blütezeit und nicht zuletzt vom Gesundheitszustand der Tiere. "Während eines mäßig warmen aber verregneten Sommers steigt das Risiko, dass Getreide verschimmelt", sagt Richard Oehlinger von der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungsicherheit (Ages). Doch selbst dann, bedeute es noch nicht, dass der Pilz wirklich die Gifte bildet oder gesundheitsschädliche Mengen produziert. So weisen etwa 90 Prozent aller Mehle Spuren von Desoxynivalenol, dem in Europa am weitesten verbreiteten Mykotoxin, auf, die unterhalb der Grenzwerte liegen. "Solange etwa ein Maiskolben ihnen Platz und Nahrung bietet, bleiben die Pilze friedlich", erklärt Krska. Erst, wenn sie sich vermehren und der Kolben sie nicht mehr ausreichend verköstigt, schütten sie Toxine aus, "um das Abwehrsystem der Pflanze zu schwächen und sie weiter auszubeuten." Der bekannteste - und am wenigsten relevante - Vertreter ist das Mutterkorn, der gefährlichste hingegen das so genannte Aflatoxin B1 - es ist die stärkste Krebs verursachende Substanz, die Medizinern bekannt ist.

Rudolf Krska und seine Mitarbeiter haben in den letzten Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass Mykotoxine schnell erkannt und gemessen werden können. "Die genau Bestimmung und Identifikation der Gifte wird in den kommenden Jahren immer wichtiger", so Krska. Ab 1. Juli 2006 treten in Österreich und den restlichen EU-Mitgliedsstaaten Grenzwerte in Kraft, die gesetzlich regeln, wie hoch die Konzentration der Gifte in Lebensmittel sein darf. Für die hochgiftigen Aflatoxine gibt es die Bestimmungen bereits: nicht mehr als fünf Mikrogramm Aflatoxin pro Kilogramm dürfen Nahrungsmittel enthalten. Für Babynahrung gelten 0,1-0,2 Mikrogramm. Für andere Schimmelpilzgifte gelten Grenzwerte im Milligramm-pro-Kilogramm-Lebensmittel-Bereich.

Richtwerte unterschreiten

"Bisher war die Praxis, kontaminiertes Getreide einfach mit so viel unbelastetem Getreide zu vermischen, bis die Richtwerte unterschritten waren", sagt Krska. Doch das ist ab Juli verboten. So gewinnen Verfahren, mit denen man die Mikroben unschädlich machen kann, an Bedeutung. Gemeinsam mit den Firmen Romer Labs und Biomin züchteten die Wissenschaftler in Tulln Mikroben, die als Futtermittelzusatz im Darm von Nutztieren die giftigen Substanzen zu harmlosen Produkten umbauen - und damit das Erkrankungsrisiko verringern. In Asien und Amerika werden diese mikrobiellen Detoxifikationen längst eingesetzt. In europäischen Ställen sind sie hingegen bisher noch nicht zugelassen. "Hier will man die Pilze erst gar nicht im Futter haben, sondern bereits auf den Feldern eliminieren", sagt Krska.

Doch die Schimmelpilze richten mit ihren Mykotoxinen nicht nur Schaden an, sie wirken auch antibiotisch. Seit mehr als 100 Jahren weiß man um die Wirkung von Penicillin - einem Bruder des mykotoxinbildenden Penicillium verrucosum. Und auch das Mutterkorn wird "medizinisch" eingesetzt. Einst hielt es für Abtreibungen her, heute wird es als Wehen- und Migränemittel angewandt. (Edda Grabar/D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 13.2. 2006)