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Noch immer muss Frits Bolkestein als Ziel von Protesten gegen "seine" Dienst- leistungsrichtlinie herhalten, auch wenn er längst nicht mehr EU- Kommissar ist.

Foto: AP/BOB EDME
Dafür? Dagegen? Weiß nicht? - Diese Fragen reichen am Dienstag in Straßburg nicht aus. - Was denn überhaupt? Auch dazu gibt es keine eindeutige Antwort. Im Europaparlament ringen die Fraktionen um die letzten Unterpunkte. Kommission und Rat sprechen sich für eine vergangene Woche bereits sicher scheinende Kompromissformel aus. Einen Steinwurf entfernt, am Boulevard de Dresde, pfeifen Zehntausende Gewerkschafter auf das, was die Politiker beraten. - Es gibt viel Krach um ein Wortungetüm, mit dem kaum einer das Gleiche zu assoziieren scheint: die EU-Dienstleistungsrichtlinie.

"Wir demonstrieren gegen Bolkestein", sagt Sieglinde Petry, die mit der Verdi-Gewerkschaft aus dem Saarland angereist ist. Die Bolkestein-Richtlinie, nach ihrem Erfinder, dem ehemaligen EU-Kommissar Frits Bolkestein, benannt, gibt es schon lange nicht mehr. In Jahren haben die Pressure-Groups ganze Arbeit geleistet, den Entwurf abgeschliffen, so dass er jetzt eigentlich allen - Gewerkschaftern wie Wirtschaftsleuten - zupass kommt. Gleichwohl sagt Frau Petry: "Wir sind für gleiche Arbeit für gleiches Geld, europaweit. Europa muss sozialer werden."

"Es gibt so viel Unwissen"

Gebhard Zimmermann aus Vorarlberg ist einer von den 650 Österreichern, die in Straßburg demonstrieren. Er meint, er wolle gegen Lohndumping und Arbeitsplatzabbau protestieren. Er könne mit dem Kompromiss nichts anfangen und sei für neue Verhandlungen. "Es gibt so viel Unwissen, die Leute sind doch total verunsichert", erzählt der Betriebsratsvorsitzende über seine Belegschaft.

Auf Plakaten wird der Sechs-Stunden-Tag gefordert. Einer skandiert: "Bolkestein und der Valentinstag passen nicht zusammen." Die internationale Solidarität wird hochgelobt. Narbengesichtige französische Bereitschaftspolizisten schauen finster - dabei betrifft sie die Sache noch am wenigsten, geht es um die öffentliche Sicherheit, greift die neue Richtlinie nicht. Joel Demarneffe aus Luxemburg indes sieht die Sache so: "Die Demo ist ein bisschen sinnlos. Wir gehen zwar hier auf die Straße, aber die Sache ist doch schon durch. Ich kann damit leben."

Tatsächlich schien die Sache "durch" zu sein. Beim letzten strittigen Punkt im Entwurf (Artikel 16, Punkt 3), zeichnete sich am Dienstagnachmittag ein Kompromiss ab: Die Sozialdemokraten konnten sich vorstellen, vom Konsumentenschutz als Einschränkung für die Dienstleistungsfreiheit abzurücken. Dafür sollte die Sozialpolitik als Grund für Ausnahmen bestehen bleiben. Wenige Stunden zuvor hatten die Sozialdemokraten beide Punkte noch als Hindernis für ihre Zustimmung bezeichnet. Abgestimmt wird am Donnerstag. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 15.2.2006)