Josey (Charlize Theron, li.) und ihre weiblichen Kumpels: In Niki Caros "North Country" sind sie die Opfer in einer männerdominierten Arbeitswelt.
Foto: Warner
Wien - Die äußerste Not treibt Josey Aimes (Charlize Theron), eine Frau im mittleren Alter, von ihrem Mann fort. Mit ihren beiden Kindern kehrt sie in die Stadt ihrer Kindheit in Minnesota zurück. Ihr zugeschwollenes Auge zeigt an, wovor sie wegläuft. Sie will endlich auf eigenen Beinen stehen. Dass diese Flucht auf Hindernisse stoßen wird, man ihr diesen Schritt in ein anderes Leben nicht zugesteht, davon kündet schon die Frage ihres Vaters, ob sie ihren Mann betrogen habe.

Übertritt in die Arbeitswelt

North Country/Kaltes Land, inszeniert von der neuseeländischen Regisseurin Niki Caro (Whale Rider), erzählt ein Frauendrama, es zielt allerdings über das Individuelle hinaus. Aimes' Übertritt in die Arbeitswelt, in das Bergbauunternehmen Eveleth Mines, wird hier zur Bewährungsprobe für das Miteinander der Geschlechter. Die Firma liefert die Arbeitsgrundlage des Orts; sie ist eine Domäne der Männer, die erst vor Kurzem für Frauen geöffnet wurde.

Vorbild für North Country war die US-Amerikanerin Lois Jensen, die erste Frau, die in den 80er-Jahren ein Verfahren wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz anstrebte - und dieses erst nach etlichen Jahren gewinnen konnte. Caro - und ihrem Drehbuchautor Michael Seitzman - geht es jedoch zunächst nicht so sehr darum, den Prozessverlauf zu dramatisieren. Schon Aimes' Ankunft im Ort wird von kurzen Szenen vor Gericht unterbrochen, das Telos des Geschehens damit vorangestellt, was dem Film die Möglichkeit gibt, das sozial rückständige Milieu besser zu erkunden.

Tätliche Übergriffe

Im Gestus von Sozialdramen der 70er- und 80er-Jahre, Filmen wie Mike Nichols Silkwood, zeichnet Caro ein gesellschaftliches Panorama - die innerfamiliäre Zerrissenheit zwischen der ergebenen Mutter (Sissy Spacek) und dem knorrigen Vater (Richard Jenkins), die solidarischen Freundschaften der Frauen (Frances McDormand als Aimes' Kumpel) und, natürlich, der allgegenwärtige männliche Chauvinismus, der sich bei der Arbeit am offensichtlichsten ausdrückt: in sexistischen Späßen bis hin zu tätlichen Übergriffen.

Vogelperspektiven

Über die Hälfte des Films hinaus gelingt es Caro, nuancenreiche Figuren zu entwickeln, die aus einer spezifischen Erfahrung heraus agieren. Aimes' wachsendes Bewusstsein darüber, die Injurien nicht weiter nur zu erdulden, wird nicht mit demonstrativen Bildern vermittelt, sondern in beschreibenden Etappen - das karge Land, das immer wieder in Vogelperspektiven gezeigt wird, liefert dafür das stimmige Umfeld.

Dass North Country dann doch ganz im Thesenhaften endet, seine liberale Botschaft über Kampfreden und pathetische Gesten deutlich macht, das ist nicht nur schade - es zeugt auch von wenig Vertrauen in reale Verhältnisse. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.2.2006)