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Maria Altmann, die Tochter eines Rechts-anwaltes, über die Entscheidung Österreichs, die fünf Klimt-Bilder doch zu restituieren: "Geld bedeutet mir nicht so viel. Ich wollte Gerechtigkeit haben. Und ich habe sie bekommen."

Foto: APA/EPA/Armando Arorizo

Maria Altmann im Gespräch mit Thomas Trenkler.



STANDARD: Sie sprechen ein so wunderschönes Deutsch. Es klingt, als wären Sie noch immer Österreicherin.

Altmann: Aber das bin ich ja auch! Meine Kinder haben leider kein elegantes Deutsch gelernt. Weil Amerika feindliches Ausland war, haben wir Englisch geredet. Daher kennen meine Kinder nur deutsche Schimpfworte, die mein Mann ihnen zugeworfen hat. Ich spreche dafür kein akzentfreies Englisch. Ich brauche nur meinen Mund aufzumachen – und schon fragen mich die Leute: "Where do you come from?" Das ärgert mich. Ich bin ja schon seit 1940 hier!

STANDARD: Die Verfolgung der Juden hatte sich in Deutschland ja schon abgezeichnet gehabt: Warum ist man nicht schon eher geflogen?

Altmann: Sie haben recht. Die Juden waren vertrottelt. Einer, der wirklich intelligent war, war mein Schwager Bernhard Altmann, der Textilwarenfabrikant. Er hat am 11. März den letzten Zug nach Ungarn genommen. Die meisten Leute, auch die geistig hoch stehenden, aber haben gesagt: Nein, nie kommen die Nazis! So verblendet war man!

STANDARD: Sie waren damals gerade frisch verheiratet ...

Altmann: Ja, ich habe meinen Mann im Dezember 1937 geheiratet. Wir waren auf Hochzeitsreise in St. Moritz und Paris. Als wir zurückgekommen sind, haben wir hie und da das Horst-Wessel-Lied gehört. Und mein Mann hat mich öfter gefragt: Hat man noch nie "Saujüdin" zu dir gesagt? Nein, ich wurde nie beschimpft. Mein Mann schon. Und bei meinem Vater war am 12. März, es war ein Freitagabend, Kammermusik. Da kam die Rede vom Schuschnigg. Es gibt in Wien noch einen Jugendfreund, ein ganz reizender Mann, er ist 92, Hans Mühlbacher: Der hat an jenem Abend schon gewusst, das ist das Ende einer Ära.

STANDARD: Auch nach dem "Anschluss" haben Sie nicht an Flucht gedacht?

Altmann: Ich hätte meinen Vater nie verlassen. Er starb im Juli 1938 eines natürlichen Todes. Wir hatten eine wunderschöne Wohnung in der Siebenbrunnengasse. Wir waren gerade zwei, drei Wochen darin. Und da ist der Mann von der Gestapo gekommen. Er hat den Schmuck genommen und uns ein Zimmer zugewiesen. Acht Tage später haben sie den Fritz verhaftet.

Bernhard war ja weiter nach Paris gegangen und hat seine Kunden gebeten, ihm das Geld für die Waren nach Paris zu schicken, weil ihm die Fabriken gestohlen worden waren. Aber die Nazis wollten das Geld. Und deshalb haben sie Fritz nach Dachau geschickt. Er war der erste Transport: zusammen mit dem Direktor der Oper und mit Urenkeln vom Kaiser. Damals war Dachau nicht, was es später geworden ist. Da gab es noch eine Kantine. Fritz ist auch nie misshandelt worden. In Dachau war auch ein wunderbarer Komiker, der Fritz Grünbaum. Mein Mann hat mir erzählt, er war so goldig, er hat alle immer amüsiert. Der ist später auf die fürchterlichste Weise umgekommen.

STANDARD: Ihr Mann kam frei.

Altmann: Die Nazis sind dann zu meinen Schwager: Wenn Sie ihren Bruder wiedersehen wollen, dann unterschreiben Sie, dass die Schecks nach Wien gehen. Sie haben Wort gehalten: Fritz ist zwei Tage später nach Hause gekommen. Und dann erst haben wir begonnen, an Flucht zu denken. Mein Schwager hat das organisiert. Es wurde ein Tag ausgemacht, an dem wir den Flug nach München nehmen sollten. Wir sind in der Früh mit dem Taxi zum Flugplatz. Eine kleine Maschine.

Sie haben die Stiege weggenommen, der Motor heult auf – und ist plötzlich aus, die Stiege wird wieder angesetzt. Wir haben gedacht: Das ist der letzte Moment unseres Leben. Aber es war nur Schlechtwetter in München. Und daher 20 Minuten Aufenthalt. Von dort ging es weiter nach Köln. Und dann zu einem Bauer nach Aachen, der uns über die Grenze nach Holland bringen sollte. Ein Priester, ein wunderschöner Mann, hat uns zu ihm geführt. Um elf am Abend war niemand von der Grenzpolizei da. Da sind wir über den Stacheldraht gesprungen. Ich bin natürlich hingefallen. Ich war nie sehr sportlich. Wir dachten: Wir sind im Paradies.

STANDARD: Aber Sie blieben nicht in Holland.

Altmann: Ja, mein Schwager war sehr gescheit. Er wusste, dass die Holländer die Flüchtlinge zurückschicken. Bernhard hat ein Flugzeug für uns gechartert, und so sind wir nach Liverpool geflogen. Wir haben dort ein Haus gemietet mit Heckenrosen. Wir waren glücklich. Aber dann ist der Krieg ausgebrochen. Und da wären wir auf der Isle of Man interniert worden. Wir haben nie daran gedacht, nach Amerika zu gehen. Aber jemand hatte uns eingeladen, und er gab ein "Affidavit", er garantierte, dass wir dem Staat nicht zur Last fallen. Und so sind wir im Mai 1940 mit der Brittanic nach Amerika.

Ich war im sechsten Monat schwanger. Wir haben dann in der Nähe von Boston gelebt. Wir hatten eine kleine Mansarde. Das war meine liebste Wohnung. Ich hatte mein erstes Kind. Aber all das ist doch furchtbar langweilig für Sie?

STANDARD: Überhaupt nicht.

Altmann: Aber es gibt doch so viele Leute, die ein ganz ähnliches Schicksal haben! Nur haben sie zufällig keine Goldene Adele. Ich wurde erst gestern wieder gefragt, ob das der glücklichste Tage in meinem Leben war, als ich gehört habe, dass wir die Klimt-Bilder zurückbekommen. Weiß Gott nicht! Das waren andere Tage.

Aber ich habe mich riesig gefreut: Weil ich das, was ich verlangt habe, zu Recht verlangt habe. Geld bedeutet mir nicht so viel. Ich wollte Gerechtigkeit haben. Und ich habe sie bekommen. Noch dazu von einem Schiedsgericht mit drei Österreichern. (DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.2.2006)