Wien – Man kann den Angeklagten, diesen drahtigen, fahrigen, weißhaarigen Senior, einen pensionierten Handelsvertreter, noch so lange beobachten, man erkennt nichts Außergewöhnliches an ihm, liest nichts von alldem heraus, was im Strafakt steht. Nichts von dem, was die Geschworenen veranlasst, immer wieder die Hände vors Gesicht zu schlagen. Allein wenn man die Geschichte zu Ohren bekommt, bewegt sie sich am Rande der Zumutbarkeit. Tatsächlich zugemutet wurde sie einem vierjährigen Mädchen – 17 Jahre lang. Heute ist die Frau 26 und studiert. Der sexuelle Missbrauch des Vaters ist ausgestanden, den psychischen behält sie bis ans Lebensende.

Der Vater streitet alle Vorwürfe ab. Weil er ihre lesbischen Neigungen nicht tolerierte, tische die Tochter nun diese Lügengeschichten auf, sagt er. "Solche Schilderungen kann man nicht erfinden", merkt die Staatsanwältin an. Für das Erstgericht gilt als erwiesen, dass die Angaben der Tochter stimmen. Die Laienrichter brauchen nicht lange zur Beratung. Der Vater wird zur Höchststrafe von 15 Jahren Haft verurteilt.

Die sexuellen Übergriffe begannen in der Badewanne. Bald schon zwang der Vater sein Kind zum Oralverkehr. Im Volksschulalter kam es bereits zu regelmäßige Vergewaltigungen. Ab dem achten Lebensjahr nahm der Vater die Tochter mit in die Arbeit, wo er sie in einem Nebenraum pädophilen Kollegen überließ. Auch im Donaupark und im Kino durften sich Kinderschänder an ihr bedienen, der Vater kassierte dafür Geld. Das Kind wurde mit Barbiepuppen vertröstet. Später musste das Mädchen ihren Vater auf Sexurlaube begleiten.

"Sie war trainiert, abgerichtet wie ein Hund", erklärt ihre Therapeutin. Nach dem sonntäglichen Gottesdienst habe der Vater nur mit dem Finger winken müssen, und sie folgte ihm ins Schlafzimmer. Die gesamte Pubertät hindurch nahm er sich das Recht heraus, sexuell über sie zu verfügen. Als sie 21 war, zog sie aus. Nach mehreren Selbstmordversuchen begann eine Therapie langsam zu greifen. Da erst vertraute sie sich ihrer – offenbar völlig ahnungslosen – Mutter an, die die Polizei verständigte.

Das Gericht spricht dem Opfer ausstehende Therapiekosten und Schmerzensgeld in der Höhe von 25.000 Euro zu. Die Studentin leidet unter Angstzuständen und Albträumen. In Form von "Flashbacks" lebt sie die Übergriffe wieder und immer wieder. (Daniel Glattauer, DER STANDARD – Printausgabe, 10. März 2006)