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1918 wurde Amalie Zuckerkandl von Gustav Klimt porträtiert.

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1939 ist Amalie Zuckerkandl, die Exgattin eines Primars, von Armut und Verfolgung gezeichnet. Drei Jahre später wird sie im KZ ermordet.

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Wien - Ein dreiköpfiges Schiedsgericht hatte die beiden Porträts Adele Bloch-Bauer I und II sowie drei Landschaftsgemälde Mitte Jänner den Bloch-Bauer-Erben zugesprochen, inszwischen sind die Bilder bereits in den USA ausgestellt. Eine weiter Entscheidung stand im Jänner noch aus: Soll das unvollendete Bildnis der Amalie Zuckerkandl von Gustav Klimt, das die Kunsthändlerin Vita Künstler 1988 der Österreichischen Galerie gestiftet hat, restituiert werden? Am Montag entschied das Schiedsgericht dagegen.

Zwei Familien hatten Ansprüche angemeldet: einerseits die Erben nach Ferdinand Bloch-Bauer, da sich das Porträt im März 1938 in Besitz des Zuckerindustriellen befand. Und andererseits die Erben nach Amalie Zuckerkandl. Denn Bloch-Bauer habe aus dem Exil dafür gesorgt, dass der Porträtierten das Gemälde zurückgegeben wurde.

Beweise konnte keine der beiden Seiten, vertreten von Schoenberg beziehungsweise Alfred Noll, vorlegen. Aber die Restitutionsforscherin Ruth Pleyer trug jede Menge Indizien zusammen; ihre Recherche mit dem Titel Was blieb, war kaum "das nackte Leben" ist soeben – und daher noch rechtzeitig – im Sammelband Enteignete Kunst erschienen.

1919 ließ sich Otto Zuckerkandl, Primararzt des Rothschildspitals, scheiden. Seine Frau Amalie erhielt das Gemälde. In den 20er-Jahren habe sie es zweimal, so deren Tochter Hermine, an Bloch- Bauer verkauft, der auf diese Weise eine in Not geratene Freundin unterstützen habe wollen. 1928 zum Beispiel war das Bild in seinem Besitz.

Seine Ehe mit Adele war kinderlos geblieben. Aber er hatte engen Kontakt zu den fünf Kindern seines Bruders Gustav, darunter Maria Altmann. Seine Neffen Karl, Geschäftsführer der Brucker Zuckerfabrik, und Robert, sein persönlicher Sekretär, waren Unterstützer des Schuschnigg-Regimes: Sie verließen Wien vor dem "Anschluss". Auch den anderen Geschwistern gelang die Flucht.

133,33 Reichsmark

Amalie Zuckerkandl, 1895 zum Judentum konvertiert, und ihre Kinder Viktor, Nora und Hermine galten nach den Rassegesetzen als jüdisch. Im Juli 1938 gab sie gegenüber der Vermögensverkehrsstelle an, sie erhalte von der Israelitischen Kultusgemeinde "gnadenhalber" eine Pension von jährlich 800 Reichsmark. Zudem beziehe sie "von Freunden" – gemeint ist Bloch- Bauer – eine Unterstützung von 133,33 Reichsmark monatlich, die "voraussichtlich demnächst erlöschen" werde.

Tochter Nora Stiasny verlor alles: Das Sanatorium in Purkersdorf, das ihr zu einem kleinen Teil gehörte, wurde "arisiert", ihr Mann Paul von der Gestapo verhaftet. Nach vierwöchiger Haft freigelassen, flüchtete er mit seinem Sohn Otto in die Tschechoslowakei. Beide wurden vermutlich in Auschwitz ermordet.

Hermines Mann Wilhelm Müller-Hofmann war Professor an der Kunstgewerbeschule. Nach dem "Anschluss" wurde er beurlaubt, "weil er mit einer Jüdin verheiratet ist, durch viele Jahre Mitglied einer Freimaurerloge war und vor der Machtergreifung seine gegnerische Einstellung zur NSDAP durch ein Spottgedicht auf den Führer zum Ausdruck gebracht hat". Sein Werk wurde für "degeneriert" erklärt und zerstört.

Im Sommer 1941 stellte Bloch-Bauer, der nach Zürich geflohen war, die Zahlungen an Amalie ein. An die Finanzierung der Emigration von ihr und Nora Stiasny war nicht mehr zu denken. Im November 1941 wurden beide in eine Sammelwohnung "umgesiedelt", im April 1942 nach Izbica deportiert und vermutlich im Vernichtungslager Belzec ermordet. Ihr Eigentum verfiel an das Deutsche Reich.

Bloch-Bauers Anwalt war Erich Führer: Er verkaufte einen großen Teil der Kunstsammlung, um die "Steuerschuld" und die verhängten Strafen bezahlen zu können. Das Bildnis der Amalie Zuckerkandl ließ Bloch-Bauer der Familie der Porträtierten zurückgeben – jedenfalls nach Darstellung von Hermine.

Amalies Tochter hatte 7000 Reichsmark für ein "Sippenzeugnis" zu bezahlen, das sich als wertlos herausstellte: Es wies Hermine als "halbjüdisch" aus. Finanzielle Reserven gab es keine mehr. In der Not verkaufte ihr Mann das Amalie-Porträt an Vita Künstler, die von Otto Kallir die Neue Galerie übernommen hatte, um 1600 Reichsmark.

Deren Mann kaufte es um 2000 Mark: "Und so kam das Klimt-Bild zuerst in das Bureauzimmer meines Mannes beim Berglandverlag", erinnerte sich Künstler, "und später dann in unsere Wohnung." Es hatte einen Versicherungswert von 10.000 Mark.

Keine Rückforderung

Nach Kriegsende wurde Bloch-Bauer aktiv. Von den Restitutionsforderungen ausgenommen bleiben nur zwei Werke, darunter das Amalie- Bildnis. Bei der Inventarisierung der Kunstsammlung 1939 war das Porträt an erster Stelle genannt worden. Laut Ruth Pleyer sei es daher unwahrscheinlich gewesen, dass man auf die Rückforderung just dieses Bildes vergessen habe. Und auch diversen Mutmaßungen der Bloch-Bauer- Erben kann Pleyer nichts abgewinnen: "Dass Erich Führer das Bildnis der Amalie Zuckerkandl gegen den Willen seines Klienten verschleppt hatte und trotzdem noch alle paar Monate mit Ferdinand Bloch- Bauer zum Abendessen saß, ist unwahrscheinlich."

1948 wurde das Porträt ausgestellt – samt Verweis auf die Neue Galerie als Eigentümer. Spätestens dann hätte ein Rückstellungsantrag eingebracht werden können, argumentiert Pleyer. Aber nichts geschah. Vita Künstler hingegen bot Hermine Müller-Hofmann das Porträt zum Rückkauf an, doch diese war finanziell dazu nicht in der Lage.

Künstler dürfte die historisch belastete Provenienz des Bildnisses bewusst gewesen sein: Jane Kallir, Enkelin von Otto Kallir, sieht darin den Grund, warum ihre lebenslange Bekannte das Gemälde trotz vielfacher Angebote nie verkaufte. Mit der Schenkung an die Österreichische Galerie habe sich Vita Künstler, so Kallir, vom moralischen Dilemma befreien wollen.

Pleyer weist Maria Altmann detailliert nach, inkorrekte Angaben gemacht zu haben: "Sie besitzt keine Belege dafür, dass das Bildnis ihrem Onkel entzogen wurde." Die Möglichkeit, sich zu Wort zu melden, wurde Amalie Zuckerkandl gewaltsam genommen. Pleyer meint, dass Vita Künstler der Republik Österreich die moralische Verantwortung für das Gemälde übereignet habe: "Eine Chance, etwas gutzumachen." (aktualisierter Text eines Artikels von Thomas Trenkler, erschienen in DER STANDARD, Printausgabe, 16.3.2006)