Stadtgeschichten von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war am Sonntag. Und die junge Frau, die sich mir in den Weg stellte, war entschlossen. Obwohl: Genau genommen stellte sie sich mir ja nicht in den Weg, sondern schob mir ihren Kinderwagen vors Knie. Ich verstand das als Stop-Signal, blieb stehen und zog die Stöpsel aus den Ohren.

Ob ich ich sei, fragte mich die Frau, die mich aus dem Laufen gerissen hatte. Und als ich nickte, spürte ich, wie mich die Sauerstoffschuld einzuholen begann. Aber die Frau meinte, dass es nichts mache, wenn ich nicht reden könne, sie wolle mir eine Geschichte erzählen. Weil sie ziemlich sicher sei, dass ich am Freitag über jene alte Frau geschrieben hätte, die hier, wohnt (siehe Stadtgeschichte "Die Hölle liegt mitten in Wien") vom Freitag). Dann zeigte sie auf eines der Fenster über uns. Wir standen im Kinderhof des Museumsquartieres.

Fürstenhof

Ich zuckte mit den Schultern: Keine Ahnung, sollte das heißen. Ich wisse, nicht, ob die Frau, die sich so bitter über die veränderten Lebensbedingungen der Museumsquartier-Anrainer beschwert hatte, genau hier wohnt. Egal, überging die Frau mit dem Kinderwagen mein Schulterzucken, in Wirklichkeit käme es darauf ohnehin nicht an.

Sie wolle mir nämlich erzählen, sagte sie, wie das sei, wenn man hier mit zwei Zwergen den Tag verbrächte. Zwischen Zoom, X-tra und Dschungel. In einem für Stadtkinder ziemlich idealen, weil tatsächlich auto- und ziemlich hundescheißefreiem Eck. Nur die Radfahrer hätten noch nicht akzeptiert, dass sie hier gefälligst absteigen oder langsamst und dreifach vorsichtig durchfahren sollen. Das MQ, erklärte die Frau während sie den Kinderwagen hin und her schaukelte und ihr älteres Kind nicht aus den Augen zu verlieren versuchte, sei also insgesamt ziemlich super.

Schwallbrause

Nur vor dem Fenster habe sie Angst. Nicht ihret- sondern der Kinder wegen: Von dort kämen nämlich nicht nur Beschimpfungen, sondern ab und zu – selbst erlebt habe sie es nur einmal, räumte die Frau ein – Wasser. Kübelweise. Und bei allem Verständnis für die Sehnsucht nach Ruhe gehe ihr bei durchnässt-geschockten Kindern der Humor aus. Nicht nur bei Hoppala-Sendungen, sondern vor allem im echten Leben.

Sie habe, erzählte die Fürstenhof-Benutzerin, sich nach dem Wasserguss (der zum Glück niemanden erwischt hätte) umgehört – und glaube zu wissen, dass die Kinder“täuferin“ mit Lärmmessgeräten das Kinderlachen messe und beim Überschreiten der für sie als akzeptabel angenommenen Pegel die Polizei rufe. Bisher – auch das, habe sie, sagte die Frau, nur selbst erlebt – seien aber immer Polizisten gekommen, die selbst Kinder hätten. Und die deshalb zwischen Kinderlachen und Krach zu unterscheiden gewusst hätten.

Torschlusswunsch

Eine Beamtin, so die Frau habe ihr von einem Gespräch mit der alten Dame erzählt. Die Beschwerdeführerin wolle im ehemaligen Messepalast so leben, wie über Jahrzehnte davor: In zentralster Lage – aber in absoluter Ruhe. Und es gäbe, habe sie gesagt, doch eine tolle Möglichkeit, die Ruhe wieder herzustellen: Früher wären die Eingänge ja auch keine Durchgänge, sondern verschließbare – und versperrte – Tore gewesen. Punkt.

Ich war wieder halbwegs bei Atem. Und erinnerte mich an etwas, was mir die alte Frau am Telefon gesagt hatte: Die Sperre der Tore, hatte sie gemeint, wäre auch im Sinne des verantwortungsvollen Umganges mit Steuergeldern wünschenswert. Weil man dann die Höfe nicht mehr beleuchten müsse. Denn das fräße immense Summen. Aber für die dickeren Vorhänge, die sie brauche, seit das MQ geöffnet und beleuchtet ist, habe sie von den Errichtern keinen Groschen bekommen.

Batzweicher Mediationsverusch

Trotzdem sagte ich meiner Aufhälterin nicht, dass sie vermutlich richtig kombiniert hatte, sondern versuchte – zugegeben: eher halbherzig –ein bisserl Verständnis zu erzeugen: A. und ich, erzählte ich, hätten ein Schlafzimmerfenster, das auf einen ruhigen Innenhof führt. Der sei gepflastert. Und jedes Mal, wenn unsere Nachbarn mit anderem Schuhwerk als Filzschlapfen in der Nacht durchgehe, klänge das wie eine Session der japanischen Trommler die kürzlich hier ein Gastspiele gegeben hätten.

Die Frau mit dem Kinderwagen grinste mich an – und hatte überhaupt kein Mitleid mit mir: Sie höre und spüre dafür die Straßenbahn unter dem Fenster vorbeifahren. Das sei eben so. Aber wenn ich wolle, dürfe ich gerne bei ihr vorbeikommen – und ausprobieren, was passiert, wenn ich von oben einen Kübel Wasser auf Bim und Oberleitung kippe.